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Innereien, sautiert – Herr Bloom am Morgen

von Nik zu 23. November 2006

Nierchen gekauft. Unachtsam werfe ich das Papier in der Küche zu Boden. Die Katze umstreicht unbeeindruckt meine Beine. In Memoriam. Heute ist Bloomsday. Die Zeilen aus Joyce „Ulysses“ kommen mir in den Sinn:

„Mr. Leopold Bloom aß mit Vorliebe die inneren Organe von Vieh und Geflügel. Er liebte dicke Gänsekleinsuppen, leckere Muskelmägen, gespicktes Bratherz, panierte kroß geröstete Leberschnitten, gerösteten Dorschrogen. Am allerliebsten hatte er gegrillte Hammelnieren, die seinem Gaumen einen feinen Beigeschmack schwachduftigen Urins vermittelten.“

Sehr richtig.More...

„Kalbs-, Lamm-, Hammel- oder auch Schweinenieren dürfen während des Garens nie kochen, da sie sonst zäh werden. Man bereitet sie stets ganz kurz vor dem Servieren zu, immer bei starker Hitze und sehr rasch, am besten gegrillt bzw. schnell oder langsam gebraten, also sautiert oder poêliert.“

Innereien hatte ich das erste Mal in Schottland gekostet. Natürlich stimmt das nicht, ich hatte vorher schon einmal Nierchen probiert. In so einer dunklen komischen Sauce, die einen leichten Uringeruch verströmte und den harten kleinen Innereien, die eher mehlig als sonst irgendwie schmeckten, ein finales, sauer und feuchtes Heim bot. Aber damals probierte ich freiwillig das Nationalgericht Haggis. Es war, als wollte dieses Essen mir selbst noch einmal die Geschichte seiner Entstehung preisgeben, während es auf seine Vernichtung wartete.

Die Geschichte, die ich Nachts zuvor in einem der unzähligen Pubs, die wir durchlaufen waren, gehört hatte. Eine Geschichte, die eine Niederlage in einen grandiosen Sieg umzudichten versteht, eine typisch schottische Geschichte eben. Zum Frühstück hatte ich schon alles Mögliche probiert, aber Rotwein, Malt….da musste jetzt wirklich noch etwas Besonderes kommen, immerhin hatte niemand von uns auch nur einen Tee, geschweige denn einen Kaffee an diesem noch recht jungen Tag trinken können. Es schien so, als sollte dieses Frühstück etwas Eigenes werden.

Nein, Blooms Ehefrau möchte nichts Besonderes zum Frühstück. Sie ist noch halb gefangen von ihren Träumen der letzten Nacht und verzeiht ihm nicht, dass er es gewagt hat, sie ihren Wünschen gemäß zu wecken. Er soll schnell machen – dass er sich verzieht – aber das sagt sie ihm nicht, das gibt er nicht zum Ausdruck, während auch schon seine Gedanken bei anderen fleischlichen Dingen verweilen. Nein, er soll mit dem fertigen Frühstück wieder kommen. Dazu muss er zunächst das Weite suchen, das Weite, dass ihn so von ihr entfernen kann, wie ein Brief, ein Stück Papier, das sie schnell unter dem Kopfkissen versteckt, ganz so, als gestatte sie nur diesem, die Wärme ihres Bettes mit ihr zu teilen. Aber das weiß sie noch nicht. Er entfernt sich und verschwindet in einem Kosmos der Gerüche und fleischlichen Augenfreuden, den die Stadt an diesem noch sehr jungen Tag für ihn bereithält. Während Madame sich noch einmal umdreht, nimmt Bloom die vielfältigen Essensgerüche der Stadt auf. Bologneser, prall gefüllt nähren seinen Blick, während er voller Ruhe den lauwarmen Hauch gekochten würzigen Schweinebluts an Dugaczs Schaufenster einatmet. Dann, wie ein Blitz der den Vampir trifft, geschieht das Unvorhergesehene und die Ereignisse nehmen ihren animalischen Lauf nach festen Regeln.

„Bei jedem Verfahren gibt es unveränderliche Regeln: Gegrillt: Die Nieren werden geöffnet und auf den sehr heißen Rost über mittelstarke Glut gelegt.“

Ja, das sollte es auch. Schließlich wollte unser Gastgeber sich nicht nachsagen lassen, dass er Leute betrunken des Nachts überschwänglich einlädt, um dann am nächsten Tag von einer alkoholinduzierten partiellen Amnesie zu schwafeln, um so alle Verpflichtungen für gegenstandlos zu erklären. Nein, der Tisch war reichlich gedeckt und es schien so, als würde ein üppiges Abendmahl, jedoch kein Frühstück auf uns warten. Aber, so ließ ich mich beruhigen, so sei es nun mal, wenn man in diesem Land frühstücken wolle. Der Ofen wurde befeuert, mit den starken Getränken auf den zu erwartenden Tag angestoßen, der Wein blieb für später, dann kamen die Innereien auf den Küchentisch. Große Pfannen wurden gefettet, Gewürze gemörsert, der Magen des Schafes gesäubert, der Hafer gewogen. Draußen hatte sich der morgendliche Nebel noch immer nicht verflüchtigt. Die leeren Gläser gemahnten den Gastgeber an den noch nicht getätigten Trinkspruch.

Der Tropfen, der sich von der Niere hinter dem Schaufenster auf den darunter befindlichen Teller perlt, scheint den mechanischen Lauf der Dinge zu bestimmen, oder ist es ein Glück für Bloom, dass er diesen so beiläufigen wie flüchtigen Moment mit symbolischen Gehalt des frischen Blutes versehen kann. Noch ist nichts gekauft, der Laden kaum betreten, der Mund fest verschlossen und schon treibt es den Mann, der fürs Wohl seiner Frau durch die Straßen streicht, lechzend hinter dem schaukelnden Schinken des drallen Mädchens vor ihm her. Noch aber muss er sich zähmen, sich beruhigen, er muss schnell machen, um sie nicht zu verlieren. Denn schließlich ists die letzte Niere, die ihr bescheiden bemessenes Blut tröpfchenweise dem zu diesem Zweck unter sie gestellten Teller opfert. Bloom hält den Atem an, kann dieser Wackelschinken ihm wirklich diese letzte im Laden befindliche Niere noch vor der Nase wegschnappen? Hektisch fliegt sein Blick über den Schinkenzettel. Nein, sie verlässt den Laden, er kann bestellen.

Also kauft er sie, die Letzte. Lässt sie in seiner Seitentasche verschwinden, eher er die drei Pence zu ihrer Begleichung hervorkramt. Schon ist ihm der Schlachter, der die Geldstücke scheibchenweise in seiner Kasse verschwinden lässt unsympathisch. Aber die feuchte Drüse zieht ihn nach draußen, dem frischen Blut hinterher.

„Sautieren: Die Nieren werden zerschnitten und in eine große, gerade so bemessene Bratpfanne mit hohem Rand gegeben, daß alle Stücke auf dem Pfannenboden liegen und so von der in der  Pfanne schäumenden Butter zischend angebraten werden.“

Nachdem die Innereien gekocht und zerschnitten, scharf gewürzt und mit Hafer vermengt waren, konnten wir uns endlich erneut zuprosten. Die fünf Malt schienen nötig, denn jetzt war unbedingter Teamgeist angesagt, schließlich galt es den Magen des Schafes mit allem zu füllen und ihn zu verschließen ohne ihn zu beschädigen.

Wie lange du wieder gebraucht hast. Nicht die einzigen Worte der Schlaftrunkenen, die so warm, so überaus vertraut klingen, dass man Bloom ob seiner Umsicht, mit der er sich zeitweilig hinter ihrer fallen gelassenen Wäsche verschanzt, beglückwünschen möchte. Aber noch hat der Tag nicht ganz begonnen. Die Jalousie wird ein wenig gelüftet, damit der Spalt die Spannung mit der das Papier unter dem Kopfkissen entschwindet in voller Breite registrieren kann. Kein Wunder das hier etwas zischend verbrennt. Doch zuvor gibt’s, die Ermahnung wie ein Ritual: Ausspülen gehört zum Kochen wie zum Tee. Die Pfanne verhält sich da wie die Innerei zum Fleisch, wie die unsichtbare Ausnahme, welche die Regel erst ermöglicht. Er ist in der Küche und ganz bei sich, also bei der Butter, die gerade schmilzt. Die Niere wandert aus der Tasche in die Pfanne. Der Tee, genügend gespült, gezogen, gezuckert. Weg von ihr, der geliebten Katze. Die Niere zum Abschied kurz gewendet.

„Poêliert: Die Nieren werden ganz in einen heißen metallenen oder irdenen Topf mit Butter belegt, in dem sie sofort anbraten. Man bereitet so in der Hauptsache Kalbsnieren zu.“

Das Ganze wird dann – ähnlich wie ein Saumagen – in aller Ruhe gekocht. So hat man genügend Zeit sich den Geschichten, die um den Haggis ranken und natürlich dem Malt, der Rotwein leibt für später, zuzuwenden. Haggis ist dieses kleine Wesen, in Schottland sehr weit verbreitet, dass stets am Hang entlangläuft, da es ungleich lange Beine hat. Ein Trick bei der Jagd besteht folglich darin, den Haggis aus dem Hochland in die Ebene zu treiben, da es auf ebenem Geläuf unweigerlich den gewohnten Halt verliert und auf die Seite fällt. Natürlich könnte man auch von der verheerenden Schlacht gegen die Engländer reden. Schließlich ließen sie den Schotten eines Tages nichts von ihren Schafen als die Innereien, aber wo bliebe da der Witz? Wo der Grund, fröhlich die Flasche zu leeren?

Schlierig, die Redefetzen, wie die Sahne, die erst nach dem Tee in der Tasse verschwinden darf. So kann sie ihr wesen noch anzeigen, wirken, auch nach ihrem Verschwinden. Die Seele des Tees. Ihr wird unbehaglich, bemerkt es durch einen Geruch, der ihn von ihr weg stürmen lässt. Die Niere brennt in der Pfanne, schnell wird sie auf einen Teller gerettet. Das Verbrannte für die Katze der Rest mit Brot langsam vertilgt.

„Nieren dürfen nie zu lange garen, sie werden sonst zu trocken. Der richtige Grad ist erreicht, wenn die Hammel- oder Lammnieren innen noch rosa, Kalbs- oder Schweinenieren gerade durch und ganz zart bräunlich sind.“

Die Katze hat  das Papier entdeckt. Gar nicht so einfach, selbst beim türkischen Schlachter sind die Nieren nur in Plastikfolie zu bekommen, also musste ich sie zu Hause erst in Papier schlagen, damit dieses Saft und Geruch aufnehmen kann.

Am nächsten Tag kann ich das Papier fallen lassen und sehen, was passiert. Die Katze nimmt den gefallenen Gegenstand blitzschnell war und bemüht sich im Folgenden um vorgespieltes Desinteresse. Die Niere wird gewaschen, die Katze gestreichelt. Die Pfanne mit Butter und Hitze versehen. Brot in schmale Scheiben geschnitten. Die Teekanne gespült, das Wasser brodelt bereits. Zeit, die schlafende Schöne zu wecken. Die Nebel haben sich verzogen. Keine Post. Sonnenschein, die Jalousien werden geschlossen bleiben. In der Zwischenzeit kann die Katze unbeobachtet über das Papier herfallen. Der Rest erledigt sich durch Befolgung königlicher Imperative. Zum Schluss noch etwas Portwein zum Lösen des Bratensatzes.

  

Alle Zitate:

James Joyce: Ulysses

Paul Bocuse: Die neue Küche. Die Rezepte des Königs der Köche. Übersetzt von Bernd und Isabelle Neuner-Duttenhofer. 11. Auflage Heyne München 1988. Org.: Flammarion Paris 1976

 

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