Kochend lesen lernen – Literatur satt
Gute Literatur hat viel mit gutem Essen zu tun. Das ist so klar, wie die Tatsache, dass sich die sprechende und die schmeckende Zunge nicht ausschließen, sondern buchstäblich ergänzen. Der Genuss ist ein Kulturgut, ganz gleich, ob es sich dabei um schöne Musik, eine besonderes Getränk, ein aufwendiges Essen, oder ein anregendes Buch handelt. Viele Schriftsteller beschäftigen sich in ihren Büchern nicht nur mit einem bescheidenen Mahl, sie füllen zuweilen ganze Seiten mit aufwendigen Kochanweisungen. Umgekehrt verdanken manche Kochbücher ihren nachhaltigen Erfolg nicht einer nüchternen Aufzählung von Zutaten und Gerichten, sondern deren literarischer Einbettung. Mark Crick, Londoner Fotograf hat einfach den Spieß umgedreht und Weltliteratur in Koch-Geschichten verwandelt.
Es ist atemberaubend, wie schnell er die Gerichte und Stimmungslagen wandeln kann. Auf gut 100 Seiten kopiert er nicht weniger als 15 Autoren, um ihnen traumhafte Kochrezepte dramatisch in den Federkiel zu legen. Im Chandler Stil wird gesoffen, die Zigarette auf dem Küchenbrett ausgedrückt, es werden Möhren gekillt, um wenige Seiten später einen Ton anzuschlagen, der an dieser Stelle zitiert werden soll, auch da er den mit Abstand längsten Satz des Bändchens darstellt, ganz so, als sollte mit ihm allein die verlorene Zeit festgehalten werden:
„Ungeachtet der Tatsache, dass die Eleganz eines Cafés und der Grad seiner Behaglichkeit in der Regel in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander stehen, fand ich mich eines Tages in einem Café auf dem Boulevard Beaumarchais wieder, dessen Inhabern – die zweifellos aus einer Gegend fern des Viertels stammten, in dem ich mich gerade aufhielt – es gelungen war, die ideale Mitte zu treffen, dergestalt, dass ihr Etablissement weder Eleganz noch Behaglichkeit ausstrahlte; das Ensemble aus braunen Sofas, gelblichem Holz und roten Wänden wirkte wie in einer einzigen großen Kiste angeliefert, aus einer Welt, in der man nicht die leiseste Vorstellung von der Welt hatte, in die man Waren exportierte, und das Resultat war von solch erlesener Mittelmäßigkeit, dass sie einem förmlich entgegen schrie.“
Kaum zu glauben, aber der Ich-Erzähler wird wenige Zeilen später animiert durch den Geruch seines Cappuccinos in traumhaften Erinnerungen schwelgen und über seine Liebe zu einem Dessert – oder war es doch eine Frau? – erzählen. Wer dann noch erfahren möchte, wie Kafka eine Miso-Suppe zubereitet, warum Thomas Mann seine Identität für perfekte Rösti verliert und wie ein Hähnchen à la Marquis de Sade gestopft wird, sollte sich dieses Kleinod der Küchenliteratur zulegen.
Die Rezepte sind allesamt liebevoll ausgesucht, wunderbar in die Erzählung eingefügt und animieren zum Nachkochen. Wenn sie also das Buch bestellen, achten sie darauf, dass sie ihren Kühlschrank gut gefüllt haben, bevor sie sich an die Lektüre wagen.
Cheers!
Mark Crick: Die Suppe des Herrn K. Eine vollständige Geschichte der Weltliteratur in 15 Rezepten. Blessing München 2006, 108 Seiten, ISBN 13: 978-3-89667-313-y, 12,-€
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