Le Moissonnier
Manchmal, wenn es Novembergrau ist wie so oft in diesem Sommer, überkommt mich das Gefühl, die Stadt, die sich so öd und Regenverhangen zeigt, zu verlassen und auf Reisen zu gehen. Vielleicht in die Sonne, vielleicht aber auch nur an die See, die ihren eigenen Charme entwickelt, wenn der Regen mit den sturmgepeitschten Wellen ein Bündnis eingeht, das den Himmel und den Horizont ein paar Meter vom Betrachter entfernt ununterscheidbar miteinander verbindet und die Gedanken so klar werden lässt, dass sie berauschend zu verschwinden scheinen. Der Kopf wird wach und ein Gefühl des unendlichen Glücks beschleicht allmählich den noch ahnungslosen Körper.
In diesen Tagen, an denen ich verreisen möchte, jedoch aus niederen Gründen an den Ort gebunden bleibe, schaffe ich es zuweilen, den herrschenden Gesetzen von Zeit und Raum ein Schnippchen zu schlagen und sie für eine kleine Dauer außer Kraft zu setzen. Wenn also der Himmel Regenverhangen bis zu den obersten Stockwerken der Häuser hinabreicht, kann es vorkommen, dass ich unmittelbar in der Nähe meiner Wohnung auf eine weite Reise gehe.
Hier in Köln ist das möglich, sicherlich auch an anderen Orten der Welt, aber wovon ich erzählen möchte ist der Einstieg in etwas Anderes. In andere Gedanken, ja sogar in einen veränderten Körper und der Eingang zu diesem magischen Bereich befindet sich in der Krefelder Straße: Regengepeitscht überquert man die nasse Straße auf der sich in der Mittagszeit schon arg beleuchtete Autos hupend durch tiefe Wasserfurchen ihren Weg bahnen, um dann an den tristen grauen Fassaden entlang zu gleiten und an einer gläsernen Tür Einlass zu finden.
Die Tür schließt sich und schon ist man in einer anderen Welt. Man weiß noch nicht weshalb, aber unwillkürlich haben die Sinne, der ganze Körper anscheinend schon ein Bewusstsein von diesem Anderen, das man spürt, ohne schon sagen zu können, worin es besteht. An der Pforte wird man empfangen, von der nassen Kleidung sowie dem vom Sturm zerrütteten Regenschirm befreit und zu seinem Tisch geleitet. Schon ist man in einer anderen Zeit, an einem entfernten Ort gelandet. Der Verstand kämpft mit dem Unglaublichen, dem er nicht Herr werden kann und überlässt den Sinnen das unbekannte Terrain.
Was nun kommt ist ein eingeübtes Ritual. Es hat im weitesten Sinne mit dem zu tun, was man aus anderen Restaurants kennt. Aber diesen Unterschied, den will ich hier nicht beschreiben, nicht zergliedern. Das, was die Sinne so betört, will ich hier nicht zerreden. Vielleicht hier nur so viel: was immer sie tun, bestellen sie sich mehrere Gänge, verzichten sie nicht auf das Dessert.
Nehmen sie sich Zeit. Wundern sie sich nicht. Das, was sie ausfüllt ist mit Sonnenschein noch zu gelinde umschrieben. Verschwenden sie diese Momente nicht durch Einsamkeit. Wundern sie sich nicht, denn gute Gespräche bedürfen zumeist nicht nur eines interessanten Gegenübers, sondern auch einer vielschichtigen Grundlage. Wundern sie sich nicht, denn auf einmal werden die ungeahnten Sinneseindrücke ihren Mund mit Worten füllen, die selten in ihm Platz genommen haben. Wundern sie sich nicht über die Eleganz des Dialogs, die neuen Strände, die sie im Gespräch betreten. Es ist – wie schon gesagt – eine Reise ohne Zeit und Raum.
Und wundern sie sich nicht, wenn der Kellner ihnen vor Verlassen des Restaurants ihren Regenschirm in die Hand drückt, denn auch wenn sie es längst vergessen haben, da draußen herrscht dieses kölsche Wetter, es gießt in Strömen, aber das ist jetzt völlig nebensächlich, denn der Sonnenschein bleibt.
Santé!
Trackbacks & Pingbacks