Das Grauen ist ein Kalbskopf – Joseph Conrad zum 150. Geburtstag
„Das Grauen – das Grauen!“ man hat das Gesicht des von Marlon Brando gespielten Colonel Kurtz in seiner Jenseitigkeit noch lebendig vor Augen, sobald man diese geraunten Worte hört. Die letzten Worte des Agenten Kurtz aus dem „Herz der Finsternis“, die selbst wie aus der Gruft gerufen scheinen und mit ihrem Klang all die Erinnerungen – nervös wie von Irrlichtern des Gedächtnisses flackernd erleuchtet – dieser Szenen an die Oberfläche befördern. Und doch sind sie ein Abglanz einer anderen, weiter zurückliegenden Zeit.
Man hört in dem Rufen nicht nur das Verzweifelte einer Zivilisation, welche die Lügen ihrer eigenen Wahrheiten zu Gesicht bekommt, ohne über die Möglichkeit zu verfügen, das eigene Bewusstsein vor diesem Grauen zu bewahren. Man erkennt ein Echo, das auf den Roman von Joseph Conrad zurückführt: Denn es ist dasselbe Grauen, zu einer anderen und doch ähnlichen Zeit, das in diesem großartigen Roman die Hautfigur gegen Ende niederdrückt.
„Das Grauen – das Grauen“ man erinnert sich an den monströsen Leib Brandos, wie er immer wieder versucht, etwas aus seinem Gehirn zu waschen, indem er wieder und wieder mit seinen fleischigen Fingern Wasser über seinen breiten und kahl rasierten Schädel wischt. Seine Ohren schauen dabei so absurd abstehend aus, dass man nicht nur auf Grund seines Stiernackens an einen Kalbskopf erinnert wird. Und so zeigt das Grauen des Films noch ein weiteres, drittes Grauen, das hinter dem Roman liegt.
Man erkennt das Conradsche Grauen der Schreibhemmungen, die ihn stets vor Beendigung eines Romans wie eine vermaledeite Pest heimsuchten. Ihn, diesen Seefahrer, der schon mit 34 Jahren von Krankheiten und einem unheilbaren Tropenfieber gezeichnet auf sein Ende wartete, bevor er den Broterwerb der Seefahrt gegen den der Schriftstellerei eintauschte und mit 37 Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Conrad wird sein Leben an Land als gesetzter, wohl gekleideter Mann führen, den der Tod nicht mehr schrecken kann.
Conrad wird begeisterter Automobilist mit einem auch im Alter nicht gedämpften Hang zu gefährlichen Fahrmanövern. Das Grauen, liegt für ihn an einer anderen Stelle und vielleicht kommt der von Francis Ford-Coppola gedrehte Film diesem Conradschen Grauen wesentlich näher, als wir bisher zu denken vermocht haben. Im Film ist es Captain Willard, der von seinen Vorgesetzten den Auftrag erhält, den abtrünnigen Colonel Kurtz im Grenzgebiet zwischen Vietnam und Kambodscha aufzufinden und zu töten.
In dieser Zeit des Vietnamkriegs erlebt Willard auf dem kleinen Boot, das ihn auf dem Mekong seinem Ziel entgegen bringen soll, einen wahren Mikrokosmos der zivilisatorischen Auflösung: Drogen, Gewalt, Befehlsverweigerung und ein unsichtbarer Feind, der die Körper der Männer von innen heraus zu beherrschen scheint, sind so allgegenwärtig wie ein Gespräch jenseits puren Faktenaustausches unmöglich. Willard wird klar, dass sich jede Kultur – selbst wenn sie sich auf gute Tischsitten versteht – auf Barbarei fußt. So ist zu verstehen, dass die Hinrichtung, die Willard an Colonel Kurtz durchführt, mit einem Opferritual im Gegenschnitt gezeigt wird.
Hier wie dort erblicken wir das pralle, reale, blutige Leben im Moment seines Todes. Auf der einen Seite der Kopf des Verräters der Militärmaschine, dort das Ritual des Tieropfers, dem Kalb, dem der Kopf abgeschlagen wird. Das blutige, grausame Reale, der Beginn und die fortwährende Grenze der Kultur scheinen für einen Moment auf. Übrig bleiben die Erzähler. Willard im Film, Marlow im Buch. Beide werden ihre Zweifel nicht mehr los. Der Conradsche Erzähler ist erschüttert über seine eigene Unaufrichtigkeit, versucht er doch dem Grauen noch einen menschlichen Anstrich zu geben, während der Protagonist des Films nie mehr festen Boden unter den Füßen haben wird. Zu erdrückend ist die Erkenntnis allgegenwärtiger Verstrickung in mörderische Handlungsweisen.
Conrad selbst wird in einer, nun aus Anlass seines 150. Geburtstag veröffentlichten Biographie, als kauziger alter Mann gezeichnet, der seine Umgebung nicht nur mit dem Leiden an seinen Schreibblockaden beschäftigte. Einmal, so sein Biograph John Stape, drehte er sich mit dem Rücken zum Esstisch und weigerte sich, seine Haltung zu verändern, so lange das aufgetischte Gericht nicht vom Tisch entfernt sei. Stape wundert sich über das Verhalten des Mannes, das ihm doch, wenn nicht vertraut, so doch erklärlich sein müsste: Conrads Frau tischte ihm schließlich das Bild des Grauens schlechthin auf. Sie servierte ihm einen Kalbskopf.
Am vergangenen Montag, den 3. Dezember haben sie hoffentlich mit einem Glas Rum auf Conrads 150. Geburtstag angestoßen. Falls nicht, wird es jetzt aber Zeit.
Cheers!
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