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Biographie des Hungers

von Nik zu 1. Juli 2009

41l-oyk7s0l_sl500_aa240_1Wenn man ein Buch mit dem Titel „Biographie des Hungers“ in Händen hält schlägt der Puls nicht ganz so ruhig wie sonst. Welch schöner, sich wechselseitig verschlingender Titel ist der belgischen Autorin Amélie Nothomb hier geglückt. Eine Biografie denkt immer schon den notwendigen Hungern, das regelmäßige Essen mit, ohne es eigens zu thematisieren. Der Hunger selbst erscheint jedoch nie als Person, sondern stets als peinigender Begriff. Hier aber – so kann man den Titel auch verstehen – wird er zu einem integralen Bestandteil der Persönlichkeit erhoben. Ja, er wird selbst scheinbar eine eigenständige Persönlichkeit. Wie sonst sollte der Hunger eine Biographie zugeschrieben bekommen?

Die 1967 im japanischen Kobe geborene Belgierin Amélie Nothomb, zeigt in ihrem Roman, dass Welterfahrung stets über die Zunge läuft. Schon das Frapanisch, die ihr eigene Mischung aus Französisch und Japanisch zeigt dem kleinen Mädchen, dass man auch die Sprache wie eine kleine Köstlichkeit auf der Zunge zergehen lassen kann.

Der Hunger breitet sich aus, wird allmächtig und in seinem Übergeifen auf Speisen, Bücher und Gefühle wird er gleichzeitig reflexiver, sich selber bewusst. Er selektiert stärker, da er allmählich erkennt, was ihm gut tut. Denn schließlich ist selbst der Hunger es leid, sich immer nur vollzustopfen und im Anschluss an seine Maßlosigkeit nur ein fades Gefühl der Völlerei zu verspüren, anstatt eine Anregung, eine Bereicherung, ein wahres Erlebnis in seinen Erfahrungsschatz einbauen zu können.

Vielleicht ist das Essen selbst, genauso wie der Hunger, der uns ihm in die Arme treibt, die existenziellste individuelle Antwort auf den täglichen Verfall, den das Leben darstellt. Der Hunger hält uns an, diesen Verfall wenn nicht zu stoppen, so doch ihn abzufedern und zu verlangsamen. Denn zugleich ist er es, der uns anspornt, uns neue Erfahrungen bereitet und uns leben lässt. Hunger ist das, was unser Leben ausmacht.
Endlich wurde ihm, dem Hunger eine Biographie gewidmet. Oder war es doch die der klugen Frau aus Belgien? Urteilen Sie bei der anregenden Lektüre selbst. Hier nur ein kleiner Vorgeschmack der Autorin: „Ich habe alle Arten von Hunger. Schreibhunger, Liebeshunger, Lebenshunger. Hunger ist das Beste, was es gibt.“

Santé!

Amélie Nothomb: Biographie des Hungers. Diogenes Verlag Zürich 2009. 207 Seiten; 18,90€

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