Koch-Magier Miraculix
Niemand wusste in der Redaktion von „Pilote“, dass man an diesem 29. Oktober 1959 Geschichte schreiben würde: Die erste Zeichnung von Asterix erblickt das Licht der Welt und liefert den Startschuss für eine atemberaubende Erfolgsgeschichte. 1961 erscheint „Asterix le Gaulois“ als erster Band der legendären Comicreihe. „Pilote“ wird bis zum Abschluss des 20. Bandes, „Asterix auf Korsika“ 1975, die Geschichten wie gewohnt abdrucken.
Neben den Erfolgsgeschichten wird es Zeit, die geheime, strukturierende Koch-Geschichte der Abenteuer zu erzählen. Denn schließlich ist es Miraculix, der den Geschichten einen inneren Halt gibt.
Miraculix, der im französischen Original mit Panoramix einen wesentlich treffenderen Namen bekommen hat, ist weniger eine geheimnisumwobene Gestalt, als vielmehr die Person, die dem kleinen gallischen Dorf seine Struktur gibt. Denn schließlich: Was wäre das Dorf ohne seinen Zaubertrank? Nicht zufällig spielt der Druide neben Asterix auch die Hauptrolle im ersten Abenteuerband. Die Römer möchten nichts Geringeres, als hinter das Geheimnis des Zaubertranks zu kommen. Allerdings haben sie nicht mit der Kochraffinesse des Druiden gerechnet, der ihnen in seinem Pot au feu andere Überraschungen zubereiten wird. Die römischen Legionäre werden mit unbändigem Haarwuchs zu kämpfen haben und mitten im Winter verzweifelt nach Erdbeeren, einer angeblich wesentlichen Zutat für den Zaubertrank, suchen. Nicht umsonst wird es in der Folge viele Abenteuer geben, die direkt mit dem Druiden und den Zutaten für den Zaubertrank zu tun haben.
Nicht zufällig ist Miraculix in einem weißen Gewand mit dem roten Umhang und blauen Schuhen – gekleidet in den Farben der Trikolore.
In diesem Dorf, dessen Bewohner nichts so sehr lieben wie ihre anarchische Freiheit, eine Balgerei untereinander, die Jagd auf Wildschweine oder Römer, ist der Druide als eine frühe Form des Kochs die zentrale Person. Wenn er seinen Topf auf das Feuer stellt, dann stellen sich die sonst so rauflustigen Dorfbewohner ruhig und diszipliniert in eine Schlange, als gelte es, in Britannien auf einen Bus zu warten.
Jeder wartet geduldig darauf, bis er an der Reihe ist, um seinen Schluck aus dem Topf zu bekommen, na ja, bis auf denjenigen, der als Ausnahme diese Regel begründet, aber dafür ist Obelix auch in der Lage, jeden Tag Hinkelsteine und Römer zu hauen.
Letztlich ist der Druide, diese in die Antike rückversetzte Figur des wissenden Mannes um die Wirkung der Kräuter, Gebräue und Tinkturen, das grundlegende gallische Element aller Asterix-Abenteuer. Miraculix speist die Dorfgemeinschaft und flößt ihr mit seinen Suppen Kraft und Zuversicht ein, um im ungleichen Kampf gegen die römische Übermacht bestehen zu können. Zugleich ist er damit 1959, in einer Zeit, in der Paul Bocuse sich anschickt, mit seiner Nouvelle Cuisine Kochgeschichte zu schreiben, das Symbol dafür, welche zentrale Bedeutung dem Kochen in diesen Geschichten zukommt.
Panoramix ist damit zugleich die Zuschreibung des „Französischen“ und Garant der Erfolgsgeschichte, die in den Chroniken stets unzulässig verkürzt als eine des „kleinen Galliers“ beschrieben wird. 1961, in dem Jahr, in dem der erste Asterix-Band in die Welt entlassen wird, bekommt Bocuse den Orden, der ihn als „Besten Arbeiter Frankreichs“ auszeichnet, er wird ihn fortan auf allen offiziellen Fotos tragen. Miraculix ist der Mann des Wissens, des Würzens und der Zubereitung, wäre er nicht eine antike Figur, würde man ihn nicht als gallischen Druiden kennen, sondern als französischen Koch.
Santé!