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Nicht schon wieder Essen!

von Nik zu 22. September 2010

nicht-essen1Essen ist nicht nur eine biologische Notwendigkeit, es ist für uns Bewohner der modernen westlichen Gesellschaften derart kulturell überformt, dass wir im Essen gesellschaftliche und vor allem familiäre Akte des Austausches erkennen. In dem wir der Notwendigkeit nachkommen, uns Nahrung zuzuführen, gehen wir einen gesellschaftlichen Austausch ein, der uns darüber belehrt, dass wir – bei aller gesellschaftlicher Betonung der Individualität – eingebettet sind in einem mitmenschlichen Kontext. Beginnend bei der Fütterung des Kleinkindes und Endend bei der künstlichen Ernährung des sterbenden Greises.

So verwundert es nicht, dass namhafte Schriftsteller über die Jahrhunderte hinweg dem Essen und dem Gespräch bei Tisch, mehr aber noch den auffälligen Gesten, die das Zusammensein rund um die Tafel bedeutungsvoll begleiten, gleich ganze Kapitel gewidmet haben. So empfängt den Leser in der von Daniel Kampa ausgewählten kulinarischen Geschichtensammlung auch gleich das vorangestellte Motto von Joseph Conrad, um keine Fragen mehr offen zu lassen. Der Mann, der sich in seinem Roman „Herzen der Finsternis“ im selben Jahr, in dem Freuds Traumdeutung veröffentlicht wurde, daran machte die Grenzen der westlichen Kultur zu beleuchten, wird hier als Gewährsmann des Kochens vorangestellt:

Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.

Hinter diesem Motto versammelt sich eine vielschichtige Sammlung von Texten und Autoren. Man trifft auf Klassiker wie Somerset Maugham oder Patricia Highsmith, auf Bestsellerautoren wie Martin Suter oder Ian McEwan, aber auch auf zu unrecht vergessene Klassiker wie Hermann Harry Schmitz und erst noch zu entdeckende Schriftsteller wie Andrej Kurkow oder Anthony McCarten.

Dessen Erzählung „Tisch 3b“ entfaltet nach einem dynamischen Beginn eine solche Dynamik im Gespräch zwischen Vater und Tochter, dass man nicht nur das Knacken der Hummerschalen zu hören meint, sondern schon ihre Schreie bevor sie in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen werden. Denn Ängste begleiten das Essen nicht nur am Tisch, sondern vor allem in der Küche, wie es T.C. Boyle in „Erbärmlicher Fugo“ meisterhaft analysiert. Seine klugen Beschreibungen der Angst des Kochs vor dem Gaumen – hier das Synonym für einen geschmacksabholden Gourmetkritiker – verstecken sich nur oberflächlich in einer Groteske, denn Boyle verfolgt die Kochkunst bis in die letzten Feinheiten der Saucen und ihrer Zubereitungen und das bedeutet nicht zuletzt bis hinein in die feinsten Verästelungen der Sinnlichkeit.

Ein Buch, das Appetit auf mehr macht.

Santé!

Daniel Kampa (Hg.): Nicht schon wieder Essen! Hinterhältige kulinarische Geschichten von Patricia Highsmith, Julian Barnes, John Irving, Ingrid Noll, Donna Leon, Urs Widmer, Leon de Winter, Doris Dörrie und anderen. ISBN 978-3-257-24019-1, Diogenes Verlag Zürich 2009, 334 S., 9,90€

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