Paarbildung bei Tisch
Was macht man, wenn man sich näher kommen möchte? Man geht zusammen essen. Denn – wie Vincent Klink so treffend bemerkt – der gemeinsame Restaurantbesuch führt dazu, dass man sich in Ruhe unterhalten kann. Wenn das Essen nicht nur der Paarbildung dient, sondern darüber hinaus als Grundlage genommen werden soll, um den Unterschied der Geschlechter kulturell zu Leibe zu rücken, dann kann daraus ein sehr interessantes Buch werden.
Im vorliegenden Fall haben sich mit Denis Scheck und Eva Gritzmann nicht nur einer der bekanntesten Literaturkritiker und eine Ärztin zusammengetan, es haben sich nach langen Jahren – so scheint es – endlich zwei alte Schulkameraden gefunden, um ein Projekt grundlegend und vielschichtig zu analysieren und um sich im Dienst der Sache einmal um den Erdball zu futtern.
In Sie&Er untersucht das Autorenduo den kleinen Unterschied beim Essen und Trinken. Doch so viel darf hier verraten werden: der kleine Unterschied ist keiner, der sich grundlegend zwischen den Geschlechtern festmachen lässt, auch wenn dies der rote Faden ist, der die unterschiedlichen Facetten des Themas in diesem Buch spielerisch zusammenhält. Man muss diesen Aspekt betonen, denn sonst verliert man aus dem Blick wie viele Fakten auf fast spielerische Art in diesem Buch zusammengetragen worden. Das Buch selbst wirkt wie ein leichtes Soufflé, allerdings sollte man es nicht schnell in sich hineinstopfen, sondern am besten nach jedem Kapitel eine Pause einlegen und den Literatur- und Filmtipps folgen, um so die jeweilige Leselektion abzurunden.
Ernährungspolitik
Im Buch selbst wird nicht weniger als die Geschichte des Kochens, mehr aber noch die aktuellen Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf unseren Alltag und unser Bewusstsein ausgelotet. An dieser Stelle sollte man eine Erkenntnis des bereits erwähnten Vincent Klink mit der These von Bill Buford – Autor des Küchen-Genreklassikers „Hitze“ – verbinden. Klink weist die Autoren darauf hin, dass nur der Mensch es schaffe, sein eigenes Essen billiger anzubieten, als das für seine Haustiere. Schließlich bekäme man in einem Supermarkt manche Wursterzeugnisse günstiger, als Katzen- oder Hundefutter. An diesem System kann etwas nicht stimmen. Buford macht für diesen Systemfehler vor allem unser Unwissen in Sachen Nahrungsmittelproduktion- und zubereitung verantwortlich.
Man muss die Menschen zwei Dinge fragen, um zu erkennen ob sie politische Wesen sind: Kaufen sie regelmäßig im Supermarkt ein? Und: Können sie kochen? Denn mit der Unkenntnis der Zubereitung von Nahrung kann die vorherrschende Stellung der Supermärkte weiterhin bestehen. Für Buford macht es keinen Unterschied, ob man sich Fast Food im Auto reinzieht, oder Supermarktprodukte, die man lediglich nach Hause schleppt, um sie dort zu erwärmen. Beiden Herangehensweisen fehle ein grundsätzliches Bewusstsein von Lebensmitteln und ihrer Funktion für uns als Lebewesen.
So gesehen leben wir in spannenden Zeiten, denn es gibt auf der einen Seite eine facettenreiche Gleichgültigkeit im Bezug auf Essen und auf der anderen Seite ein reges Interesse an nicht industriell hergestellten regionalen Produkten.
Der kleine Unterschied
Ganz spielerisch erfahren wir aber auch etwas von den bekannten Köchen der Welt, in deren Restaurants das Autorenpaar speist und zugleich so kurzweilige wie scharfsinnige Interviews mit den Patrons führt. Ferran Adria, der Chef des elBulli und Entwickler der molekularen Küche wird hier so kurzweilig, energiegeladen und klug portraitiert, dass man erst wieder zum Atmen kommt, als die Autoren sich schon wieder in einem anderen Restaurant niederlassen, um die spanische Küche ohne molekulares Beiwerk ganz entspannt zu genießen.
Doch bei allen Versuchen herauszufinden, ob es geschlechtsspezifische Speisevorlieben oder typische männliche, bzw. typisch weibliche Arten des Kochens gibt, bleibt festzustellen, dass hier das kulturelle Konstrukt des Geschlechts durch das kulturelle Gut des Kochens korrigiert wird: in Fragen des Geschmacks und des Würzens unterscheiden sich die Menschen individuell und – denkt man etwa an den Verzehr von Insekten – kulturell voneinander.
Am Tisch aber haben Frau und Mann Zeit, sich näher zu kommen, um sich über den kleinen Unterschied hinweg miteinander auszutauschen. Dass dabei ein derart anregendes Buch entstehen kann, verführt zum nächsten wohlüberlegten Restaurantbesuch.
Doch seien sie gewarnt: wie ein anregendes Gespräch die persönliche Sicht auf Dinge verändern kann, wird dieses Buch – so leicht es auch daher kommen mag – ihr Verhalten gegenüber den Dingen, die sie sich einverleiben ändern. Grundsätzlich!
Santé!
Eva Gritzmann, Denis Scheck: SIE&ER. Der kleine Unterschied beim Essen und Trinken. ISBN-13: 978-3827008886, Berlin 2011, 288 Seiten geb., 18,-€
Prima! Klingt wirklich sehr interessant, danke für die Empfehlung, das Buch werde ich gleich bestellen.