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Delizia

von Nik zu 28. April 2010

deliziaKulinarisch is(s)t man als Engländer arg gebeutelt, eingeschränkt und meistens absonderlich drauf. Es gibt Fish&Chips, Pommes Frites mit Essig und totgekochtes Fleisch wird in Minzsauce erstickt. Engländer trinken ihr Bier zu warm, den Rotwein dafür aber viel zu kalt.

Selbstredend handelt es sich hierbei um kontinentale Vorurteile gegenüber den Menschen von der Insel. Je weniger sie stimmen – denn nicht zufällig sind zahlreiche Sternerestaurants in England beheimatet – desto mehr werden sie aber weiter erzählt. Obwohl Jamie Oliver bei uns derart bekannt ist, dass seine Kochbücher wie warme Semmeln gekauft werden, hat sich immer noch nicht rumgesprochen, dass sich die Briten gerne mit Essen beschäftigen, besonders wenn es einfach ausgezeichnet ist.

Da hilft es ungemein, wenn der Fischer Verlag das Buch des britischen Historikers und Journalisten John Dickie auf den deutschen Buchmarkt bringt. In „Delizia“ beschäftigt sich der Autor mit der Geschichte der Italienischen Küche. John Dickies Leidenschaft für Italien, besonders für italienische Küche hat sich vor vielen Jahren entwickelt. Denn der Mann wollte wissen, wie es kommen kann, dass eine ganze Nation ihre Mahlzeiten zu einer wahren Passion werden lässt: Wie kommt es, das die Italiener ihr Essen so leidenschaftlich lieben? Weshalb kann man in der Italienischen Küche die Wiege der europäischen Kochkultur erkennen?

Bei der Beantwortung dieser Fragen räumt der Autor zugleich mit einem anderen weit verbreiteten und von daher gerne geglaubten Vorurteil auf: denn die Italienische Küche ist nicht in den Olivenhainen der Toskana oder den Weinbergen des Friaul entstanden. Entgegen unserem Wunschdenken ist sie keine einfache Bauernküche, sie ist noch nicht einmal auf dem Land entstanden. Im Gegenteil: die Bezeichnungen vieler italienischer Gerichte, die es zu Weltruhm gebracht haben, sind nicht zufällig nach Städten benannt. Denn die Geschichte der Italienischen Küche ist eine Geschichte der Städte, mehr noch, sie ist eine Geschichte der reichen und unabhängigen Stadtstaaten. Denn schon zu Zeiten der Renaissance verstanden die italienischen Herrscher eine üppig gedeckte Tafel mit reichlich verzierten Gerichten als Teil ihrer kulturellen Machtentfaltung.

Dickies Erkenntnis ist so schlicht, wie kulinarisch fundiert, wenn er feststellt, dass sich die Menschen Italiens zuallererst als bolognesi, catansesi oder torinesi und erst an zweiter Stelle als italiani verstehen. „Seinen auffälligsten Ausdruck findet dieses historisch verwurzelte Gefühl einer lokalen Zugehörigkeit wahrscheinlich im Essen.

Nicht zufällig gibt es in Italien gleich zwei Bücher, die von sich beanspruchen, die ersten Kochbücher zu sein, die in einer lebendigen Sprache – und nicht in Latein – verfasst worden zu sein. Beide sind etwa hundert Jahre vor dem Buchdruck entstanden – eines auf Toskanisch, eines im venezianischen Dialekt – und als Rezeptsammlungen vollständig erhalten. Das venezianische Kochbuch – verfasst in der Sprache Marco Polos – hat vielleicht den folgenden Rezeptsammlungen den Adressaten endgültig eingeschrieben. Es nannte sich Libro per Cuco – Das Buch für den Koch.

John Dickie hat eine anregende Geschichte der italienischen Küche geschrieben. Denn lange bevor Italien zu einem Staat wurde, war es eine Vielzahl von Stadtstaaten, die sich eben auch über die Besonderheit ihrer jeweiligen Küche definierten. Nicht umsonst war es viele Jahrhunderte später ein Kochbuch, der große Artusi, der dazu beitrug, dass sich die Italiener als Zugehörige zu einer Nation verstehen lernten.

Santé!

John Dickie: Delizia! Die Italiener und ihre Küche. Geschichte einer Leidenschaft. ISBN: 978-3-10-013908-5. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2008, 444 S. geb., 22,95€

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