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Der Koch

von Nik zu 5. Mai 2010

suter-koch14Wie kann man wohl Genuss beschreiben? Genuss hat etwas sehr Direktes, Unmittelbares. Doch zugleich setzt Genuss auch ein gewisses Maß an Wissen um seiner selbst voraus. Mit anderen Worten: Genuss muss gewusst werden, um seiner selbst willen.

Wenn man wissen will, wie ein Bestseller geschrieben wird, der sollte das Buch aufmerksam lesen. Mustergültig wird hier ohne viel Augenwischerei gezeigt, dass es eine einfache Kunst ist. Man nehme zwei Themen, die immer gehen: sinnliche Küche und Erotik auf der einen, Geld und Gier auf der anderen Seite. Sodann lasse man die Themen locker dergestalt nebeneinander her laufen, dass sie sich ab und zu leicht berühren, bis sie sich ernsthaft tangieren, aus den verschiedenen Zutaten eine leichte Emulsion entsteht. Nun komme man auf die Gewürze zurück. Schon zu Beginn wird der Zauber des Exotischen geweckt. Die Gerüche des indischen Subkontinents, Kardamon, Zimt, Bockshornklee und Curryblätter in Kokosöl durchziehen das Buch und schon bald werden die eher bekannten Seiten des Sinnlichen durchbrochen, bahnen sich Lust und Lebensgier ihren Weg, wenn die Dämme der Moral und des Anstands versinken und – schlimmer noch – wenn das angeblich Zivilisatorische sich als Maske des Mordens zu erkennen gibt.

Was sich aber neben den überschaubaren Grundzutaten hier zeigt, ist weniger das Faszinierende des Exotischen oder der im Buch besprochenen molekularen Küche, als vielmehr deren Analyse und Reinterpretation bekannter Vorgänge auf das Gebiet der Literatur. Suter seziert die Psychogramme seines Personals. Dies unternimmt er allerdings auf derart leichte Weise, dass es fast an einen der im Buch beschriebenen sinnlichen Espumas denken lässt. Nicht nur die Beweggründe der Protagonisten werden mit den Folgen ihrer Handlungen gekreuzt, letztlich hält uns der Autor seinen Eulenspiegel vor: wozu nutzt Genuss und Sinnlichkeit, wenn die modernen Gesellschaften letztlich die Augen vor ihren eigenen mörderischen Machenschaften verschließen? Denn dass wir als Leser mit dem vom Tamilischen Koch begangenen Mord einverstanden sind, zeigt mehr den Ablasshandel, den wir bereitwillig in Komplizenschaft mit dem Romanprotagonisten einzugehen bereit sind, als damit, unsere eigene Verantwortung in diesem Bereich – für den der vom Westen finanzierte Krieg in Sri Lanka nur eine anschauliche Folie bietet – sehen zu wollen.

In einem Interview mit einem kirchlichen Magazin hat Martin Suter eingeräumt, dass er nach dem Tod seines Sohnes, der im Alter von nur 3 Jahren sterben musste und dem er diesen Roman gewidmet hat, mit Gott zumindest eine Rechnung offen hat. Im Roman zeigt er seine Wut, seine Liebe, seine Verzweiflung und seinen Willen an Lebensfreude. Trotz allem.

Suter ist nicht nur ein kluger Beobachter. Er ist ein Kenner der Küche und des Genusses. Im Roman zeigt sich, dass Suter die Küche, das Essen und seine Zubereitung dazu verwendet, um die Erwartungen der Leser oberflächlich zu stillen und sie unterschwellig zu unterlaufen, um den Genuss auf eine andere Ebene bringen zu können.

Das Buch ist geschrieben, als wollte es ein Bestseller werden. Es liest sich leicht. Die Sätze sind kurz, knapp, einprägsam. Aber dieses Buch transportiert eine schwere Kost auf filigranem Weg.

Genießen sie es.

Santé!

Martin Suter: Der Koch. Diogenes, Zürich 2010, ISBN 978-3-257-06739-2, 312 Seiten gebunden, 21,90€

Sollten Sie durch die Lektüre auf den Geschmack der Tamilischen Küche gekommen sein, ich werde in Kürze eine Besprechung des einzigen auf Deutsch erhältlichen Kochbuches der Tamilischen Küche hier veröffentlichen. Dazu gibt es ein Interview mit dem Autor dieses herausragenden Buches.

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