alfredissimo – ein Nachruf auf die Erfindung des Küchentalks
In der ruhigen, friedvollen und beschaulichen Zeit zwischen den Weihnachtsfeiertagen und Sylvester begann im Ersten Deutschen Fernsehen die Revolution. Keiner hatte es erwartet, aber was an diesem 27. Dezember 1994 gestartet wurde, war keine kleine Nischensendung, die nach wenigen Monaten dem Vergessen anheim fällt, nein es ist eine nachhaltige Erfolgsstory. Dabei verblüfft das Format durch Stille. Die Bilder wirken beinahe statisch. Eine Kamera ist auf die beiden Protagonisten gerichtet, es gibt nur ganz selten einen Schnitt. Der Aufbau der Sendung vermeidet alles Hektische, schon beim ersten Betrachten fällt dem Körper das Kontemplative dieser dreißig Minuten ins Auge: beim ruhigen Plausch an Herd und Weinglas kann man wunderbar entspannen und die Sprechblasen neben den Küchendüften an sich vorüberziehen lassen.
Mit Alfredissimo wurde Kochen im Fernsehen populär und gleichzeitig der Küchentalk erfunden.
Im Frühjahr 1994 gab es die erste Testsendung in Alfreds Gästewohnung. Kabel wurden bis in die vierte Etage verlegt, die Straße mit Ü-Wagen verstopft und schon wenig später stand das Konzept für die Sendung. Im Sommer wurde Bios Küche im Studio nachgebaut. Eine Küchenzeile vorne, der Herd etwas abgewinkelt im Hintergrund Schränke und Ablagefläche, eine Spüle, das Bio-Loch und etwas Abseitig der Kühlschrank.
Mit Marianne Sägebrecht und ihrer Ente Bayerisch-Surinamisch war der Startschuss für viele Highlights und Cross-culture-Gerichte gesetzt. Allein im ersten Jahr gab es gleich mehrere legendäre Auftritte von prominenten Hobby-Köchen: Wim Thoelke durfte in der Sendung über das geheime Wesen des Knickeies philosophieren, während Blixa Bargeld beim Rühren seines Tintenfischrisottos selbst zum Küchenphilosophen avancierte: „Über Geschmack kann man schlecht sprechen.“ Sprach der entrückt wirkende Sänger kristallklar. „Denn schließlich schließen sich die sprechende und die schmeckende Zunge gegenseitig aus.“ Um nach dieser formidablen Erkenntnis ausschließlich dem Wein und dem Schweigen zuzusprechen.
Hervorzuheben bleibt an dieser Stelle besonders die Folge Nr. 53, in der Dirk Bach eine Anti-Kochsendung inszenierte und Bio dabei den durch nichts zu erschütternden Gastgeber mimte. Dirk Bach schaffte es eine gesamte Sendung hindurch sich mit nichts zu beschäftigen, als Dosen mit dem elektrischen Dosenöffner zu öffnen, um deren Inhalt einfach in einem großen Topf verschwinden zu lassen, in dem sich schon Gehacktes („Fleisch nur vom Metzger des Vertrauens“) befand. Der besondere Clou, den er die gesamte Sendung in Aussicht stellte war dann wirklich einer: er kippte je eine Packung Cremé Fraiche und Cremé Double zusammen, um die Mischung ebenfalls im Topf zu versenken. Auf die Frage Bios, ob er denn nicht einmal sein Gericht abschmecken müsse, antwortete der Mann mit dem fröhlich wirkenden Gesicht unter pausenlosem Gesumme: Selbstverständlich nicht, schließlich Koche er mit den Augen, warf einen Blick in den Topf und stellte ultimativ fest, dass es seinem Chili noch an der Farbe Gelb mangele. Also öffnet er noch flugs summend eine Dose Mais um die gewünschte Farbe einzuwerfen. Einmal alles umrühren, fertig, so schwer ist Kochen nicht, zumindest solange man den berühmten elektrischen Dosenöffner in Händen hat.
Aber schon vor diesem Auftritt zeichnete sich Alfredissimo durch ein komplett durchgestyltes Verkaufskonzept aus. Cooking sells und so wurde nicht nur der Pasta-Teller zur Sendung ein Verkaufsschlager, oder die elektrische Parmesanreibe, die Bio in diesen frühen Jahren spätestens jede zweite Sendung vor der Kamera surren ließ („Parmesan immer frisch gerieben“), die gesamte Küche wurde vermarktet und selbst das Bio-Loch avancierte zu einem Verkaufsschlager. Um an dieser Stelle von den Deutschen Weißweinen („Küchenwein muss sein“) oder der großen Pfeffermühle („Pfeffer immer frisch gemahlen“) einmal zu schweigen.
Aufs Schweigen zwischen den einzelnen Worten verstand sich auch Rudolf Scharping vorzüglich, der als damaliger Verteidigungsminister und noch vor seinen legendären Poolfotos mit seinem Lamm auf provoncalische Art („Kochwein muss gut sein“) einen Imagewechsel hin zum Lebemann betreiben wollte. Allerdings passte die Zubereitung des Gerichts lediglich zum bekannten Image und zur behäbigen Ausdrucksweise des Ministers, die durch den genossenen Wein noch des letzten Restes ihres tröpfelnden Redeflusses verlustig ging. Das Gericht selbst sollte fünf Stunden vor sich hin schmoren, während Bio Angst hatte, dass das Ende eines Scharpingschen Satzes ähnlich lange auf sich warten lassen könne.
Obwohl auch die Kochbücher zur Sendung wie die dort angepriesenen Zestenreißer verkaufen, wird es nicht mehr vorkommen, dass Bio sich noch oft im WDR Studio einfindet, um dort vier Mal im Jahr an drei aufeinander folgenden Wochentagen jeweils drei Sendungen pro Tag aufzunehmen. Der erklärte Rücktritt vom Fernsehen ist für Bio endgültig, die letzten Folgen zu alfredissimo sind bereits aufgezeichnet. Was wir sehen können ist jetzt nur noch der lang gezogene Abspann der Küchen-Talk-Revolution.
Gerade da die Sendung mittlerweile der Biosaurier unter den Kochsendungen ist, schaltet man doch ganz gerne ein und lässt sich beim Küchentalk mit den bekannten Biolekschen Ritualen berieseln. „Nachsalzen kann man immer – wegsalzen nie“ und „Brühe am besten selbst gemacht“, aber „hier habe ich noch eine, die kann man anrühren, wenn es mal schnell gehen muss“….es ist so schön, so kontemplativ und am Ende werden wieder die Teller zusammen geschoben und probiert. Mmmmmmmhhhhh…..Anstoßen mit den Gläsern. Ich bedanke mich, es hat Spaß gemacht. Umziehen, vorbereiten auf die nächste Sendung…wo ist der Rest vom Küchenwein?
Alle Zitate, wenn nicht von den Studiogästen: Bios zehn Gebote oder Bio direkt