Zum Inhalt

Wissen, das aus dem Kochtopf dampft

von Nik zu 23. November 2006

Ein Franzose und Planet Wissen

Wie war das noch in dem kleinen Dorf voller unbeugsamer Gallier? Es hört nicht auf, den römischen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Es gibt einen Chef, den keiner wirklich ernst nimmt. Es gibt einen Barden, der alles machen darf, nur nicht singen. Einen Fischhändler, der seine Ware lieber aus Lutetia kommen lässt, anstatt im Meer hinter seinem Laden zu angeln. Schließlich ist er seiner Kundschaft ja etwas schuldig. Natürlich gibt es den Produzenten von Hinkelsteinen und den kleinen listigen Helden der Geschichten. Bevor wir uns versehen, haben wir eine entscheidende Figur in unserer Aufzählung vergessen: Nicht der Schmied ist entscheidend, auch nicht die Frau des Chefs und ebenso wenig der Dorfälteste.Die zentrale Figur des Kultcomix ist selten in den Mittelpunkt gerückt worden. Vielleicht liegt es daran, dass sich diese Figur in Farben kleidet, die der Umkehrung der Trikolore gleichkommen. Vielleicht liegt es daran, dass sowohl das Weiß seines Haares, als auch seines Gewandes an einen Geist erinnern. Die Figur besticht durch ihre indirekte Autorität und ist somit das genaue Gegenteil des Chefs, der eines Schildes bedarf, um seine Stellung anzuzeigen. Die tiefgründige Autorität dieser Figur zeigt sich gerade in dem Umstand, dass eine Vielzahl von Interpretatoren sie nicht weiter analysieren und ihr damit die Stellung zukommen lassen, die sie selbst beansprucht. Seine Macht gründet sich auf Geheimwissen. Es darf von den anderen Dorfbewohnern nicht gewusst werden und zugleich soll es auch keinerlei Begehrlichkeiten wecken. So kann sich sein Wissen in der Produktion seiner Mixturen und ihrer Verabreichung entfalten und seine Autorität unmerklich und dennoch völlig offensichtlich zementieren.
So sehen wir Miraculix entweder hinter seinem riesigen dampfenden Kessel, oder bei einer seiner Kräuterwanderungen im nahen Wald. Schon der Name stellt eindeutig klar, dass es sich hier um eine Person aus dem Kosmos des kleinen gallischen Dorfes handelt, die nicht ausreichend ergründbar ist und die nicht näher analysiert werden möchte. Miraculix ist der
Mann des Wissens, also ein Mann der rationalen Fähigkeiten der Analyse und – dieser Umstand wird gerne übersehen – ein Mann des Kochens, ein Mensch der Synthese. Er zeigt sein Wissen, vereint die Kenntnisse über die Natur mit den Kräften des Feuers – nicht umsonst sind seine beiden wichtigsten Werkzeuge die des Zerschneidens und des Zusammenfügens die Symbole für seine analytischen und synthetischen Fähigkeiten: die goldene Sichel und der große Kochkessel.
Ohne des Druiden Zaubertrank hätte es die Geschichten dieses tapferen Dorfes nicht gegeben, denn schließlich konnten seine Bewohner nur dank dieser genialen Erfindung der Übermacht der Römer trotzen. Hier vereinen sich die Macht des Wissens mit der heimeligen Atmosphäre des Kochens unbekannter Zaubertränke über dem glimmenden Feuer. Die Gemeinschaft findet sich nicht nur um den Kessel des Druiden zusammen, sie verinnerlicht die Produkte seines Wissens und ist so gestärkt für die Auseinandersetzung mit den Römern. Dieser Moment ist der einzig wiederkehrende einer strengen Disziplin in diesem Dorf, dass durch die freiheitsliebenden Drang seiner Männer so sehr besticht. Stets wird eine Reihe gebildet, jeder nimmt eine Kelle des Zaubertrankes. Der Druide teilt aus, ohne selbst zu kosten und lässt die Gemeinde ziehen. Hier zeigt sich am eindrucksvollsten, dass Miraculix einen erhabenen Platz innehat. Nicht umsonst erscheint die Verabreichung des Zaubertranks wie ein Zeremoniell der gemeinschaftlichen Essens, wie ein Gaumenkitzler der zur wilden Rauferei mit den Römern reizt, um abschließend ein gemeinsames Gelage als Abschluss feiern zu können.
Lange Zeit ist die Figur des Druiden, dieser sagenumwobenen Priesterkaste der Kelten, in Vergessenheit geraten. Vor gut einer Generation brachten die Asterix Comics diese in Form von Miraculix nicht nur in Erinnerung, sie gestalteten den Druiden auch als Koch von Zaubertränken und als Hüter von unbekannten Weisheiten. Unter diesen selbstredend seine selbstangerührten Tinkturen und Tränke, die auch stärkste Vergiftungen im Handumdrehen neutralisieren. So konnte nicht nur der Comicband seinen Siegeszug jenseits von Laudanum und Kleinbonum antreten, sondern auch die neue Küche, die zeitgleich in einem kleinen Städtchen in Burgund aus der Taufe gehoben wurde. Insofern verwundert es nicht, wenn die Figur des Druiden ihre Renaissance erfährt.

Kunst oder Wissenschaft

Der Streit darüber, ob das Essen wohl eine Kunst oder eine Wissenschaft sei, ist so alt, wie der Angestelltenstatus des Kochs. Wurden Köche früher als Besitz des jeweiligen Restaurantbesitzers, oder Hausherren angesehen, so erreichten sie im späten 19. Jahrhundert ihre volle Anerkennung als Berufsstand. Ihre volle Anerkennung? Weit gefehlt, denn der Koch wurde in einem breiten und damit auch sehr diffusen Spannungsfeld zwischen Handwerk, Kunst und Wissenschaft einsortiert. Er war Kunsthandwerker und damit beinahe schon Künstler. Durch diese Einstufung jedoch, wurde auch die Frage danach virulent, ob der handwerkelnde Koch nun Künstler oder vielleicht doch Wissenschaftler sein könne. Da das Kochen für viele eine Summe von Kenntnissen darstellte, die nur sehr wenige wissenschaftliche Berufe erreichen, wurde hieraus direkt die Schlussfolgerung gezogen, dass der Koch kein Wissenschaftler sein könne, sondern in seiner magischen Kenntnis auf jedem Fall dem Bereich der Kunst zuzuordnen sei.1 Damit war das Urteil gesprochen: Kochen ist eine Kunst!
Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feierte der Koch dann auch seine Auferstehung als Künstler, blieb aber als Wissenschaftler weitgehend unbekannt.
Planet Wissen wurde vor drei Jahren aus der Taufe gehoben. Auch ohne die vier im Studio verteilten Fernsehkameras fällt auf, dass es sich hierbei zwingend um ein Fernsehformat handelt. Das Format ist hochgradig selbstreferentiell. Fast alles ist Kulisse. Dort aber, wo die Kulisse aufhört, fängt das Fernsehen an: Der in die Kulisse gestellte  Videorecorder und der zentral positionierte Flachbildfernseher sind echt.
Auf einen Koch jedoch ist man hier nicht wirklich vorbereitet. Die Kochecke hat man nur notdürftig als solche hergerichtet: auf einem Sideboard steht ein alter Campingkocher. Ein Sammlerstück, mit Dreiphasenschaltern und gehörig Patina auf den beiden kleinen Kochplatten. Hier soll nun live eine Vorspeise zubereitet werden. Schließlich hat man den Koch wegen seiner praktischen Kenntnisse eingeladen.
Um dem Fernsehpublikum die Kenntnisse über heimische Wildkräuter näher bringen zu können ist ein weiterer Kenner der Materie zu Gast im Studio: Steffen Fleischhauer, gelernter Landschaftsarchitekt hat sich im Zuge seines Studiums auf den Nutzen der Kräuter spezialisiert und zu diesem Thema eine Enzyklopädie verfasst. Um sein Wissen praktisch werden zu lassen, ist er zu Fuß zwei Wochen durch heimische Wälder gelaufen und hat sich ausschließlich von dem ernährt, was er beim Wandern sammelte. Inzwischen gibt der Experte sein Wissen in Seminaren weiter, die er im heimischen Freising bei München abhält. Fleischhauer hat es sich hierbei zum Ziel gesetzt, seinen Seminarteilnehmern einen Einstieg in den richtigen Umgang mit Kräutern, Samen und Blüten zu vermitteln und dabei auf Vorsichtsmaßnahmen hinzuweisen. Im Studio wird er vor allem über die möglichen Gefahren bei der Kräutersuche interviewt.

Der Koch am Herd des Wissens
Spannend ist hierbei, dass es aber dennoch der Koch ist, der eine zentrale Rolle innerhalb des Formats bekommt. Abgesehen vom üblichen Schlussbild, in dem alle am Tisch ums Essen versammelt sind, wird der Experte am Kochtopf zum heimlichen Magier und zum Hort des Wissens in seiner Anwendung.
Nach Vincent Klink, der über sein Wissen der Kochkunst als solcher befragt wurde, ist es nun Jean-Marie Dumaine, der als zweiter Spitzenkoch in die Sendung eingeladen wird. Während Wildkräuterexperte Steffen Fleischhauer im Gespräch mit Birgit Klaus Auskunft über den Nutzen und die Gefahren der heimischen Exoten geben soll, sieht die von der Regie zugedachte Rolle für Jean-Marie Dumaine vor, dass er anhand der besprochenen Kräutern den Zuschauern etwas fürs Auge serviert.
Der Koch hat sich gut vorbereitet. Nicht nur, dass er bündelweise gesammelte Kräuter mitgebracht hat, er versteht sich ebenso auf die Wirkungen und Geschmackskombinationen der unterschiedlichen Wildkräuter, wie auf ein Gespräch darüber. So wird Moderator Dennis Wilms nicht nur zum zwiebelschneidenden Handlanger hinter dem Campingkocher, sondern auch zum interessierten Zuhörer, wenn der kochende Experte über sein Leibthema redet.
Die Düfte im Studio verführen die professionellen Moderatoren zu heimlichen Kostproben aus den Töpfen jenseits der Kameraaugen. Dumaine wird so nicht nur zum Mann des Wissens und seiner Anwendungen, sondern er bekommt auch die Rolle des großen Erzählers zugesprochen. So vereinen sich Wissen, praktische Handwerkskunst und des gemeinsame Erleben. Das Wissen, die Rede darüber und die gleichzeitige Speisung der Gemeinde wird zur gemeinsamen Stärkung, auch wenn die vier Fernsehkameras sicherlich nur zufällig in der Art um den Kocher arrangiert sind, wie seinerzeit die römischen Lager um das kleine gallische Dorf. Der kleine Herd wird so zu einem Zentrum, an dem mit dem Mahl das Wissen um seine Zusammensetzung aufgenommen wird.

Der Koch, Experte und Magier
Der aus der Normandie stammende Dumaine fing vor achtzehn Jahren an, sich für die Welt der Kräuter zu interessieren und wusste damals noch nicht, dass er sich zu einem Experten auf diesem Gebiet entwickeln sollte. Zu einem Pionier der Kräuterküche in Deutschland und zu einem experimentierfreudigen Tüftler, der stets bestrebt ist, aus seinem Wissen, neue kulinarische Kompositionen zu kreieren.
Fleischhauer hat eine sehr gewinnbringende Art über sein Thema zu reden. Er doziert nicht, sondern plaudert über sein Lieblingsthema und man merkt ihm seine Freude daran an. Dennoch umringen bald alle die von Dumaine zubereiteten Speisen. Durch die professionelle Zubereitung entfaltet das Expertenwissen seine vollkommene Verführungskunst.
Spannend ist hierbei, dass der Koch als Experte eingeladen wird. Er soll nicht schlicht seiner Profession nachgehen, sondern Auskunft über die Verwendungsmöglichkeit von unbekannten heimischen Kräutern geben. So besetzt der dampfende Kochtopf ein neues Terrain, da er zentral als Hort des Wissens gesetzt wird. Schließlich ist es die Kunst der Zubereitung, gepaart mit jahrelanger Schulung des Wissens um Kräuter und ihrer Verwendungsmöglichkeiten, das hier einen Experten Jenseits der gängigen Einordnungen formt. Kräuter werden hier nicht einseitig in Kategorien von nützlich/schädlich, giftig/heilend kategorisiert, sondern nach Fragen den Geschmacksharmonie vorgestellt und eingeordnet.
Kräuter werden so aus der Giftecke herausgeholt. Sie müssen nicht länger ein Leben in der Verbannung des dunklen Refugiums der Apotheke oder des Gewürzglases fristen. Sie dienen nicht mehr der Vergiftung oder der Heilung im Krankheitsfalle. So, wie früher die Rauke als Unkraut vernichtet wurde, bis sie als Ruccola ihr Comeback auf den heimischen Tellern feierte, entdeckt man langsam die Vielfalt der Geschmacksvarianten der hiesigen Kräuter.

Von der Koch- zur Wissenssendung
Die Entwicklung der Köche und der Kochsendungen im deutschen Fernsehen hat hier nun eine neue Dimension erreicht. Fristete die gemeine Kochsendung noch Anfang der neunziger Jahre eine kümmerliche Randexistenz im Nachmittagsprogramm der Regionalsender, so kam bestärkt durch Alfred Bioleks Kochsendung alredissimo eine enorme Entwicklung in Gang. Verstand sich alfredissimo noch als eine von Amateuren, die anderen Amateuren zeigen, wie einfach eine gute Küche gelingen kann, so sind es jetzt die Köche selbst die als Experten Auskunft geben sollen. Die Küche als primär nährendes Element scheint der Vergangenheit anzugehören. Allmählich steigt nicht nur das Interesse an Fachwissen um Produkte und ihre Anwendung, sondern auch das Wissen um spezielle nützliche Elemente der Verwendungsmöglichkeiten.So wird in diesem Zusammenhang der vormals wissenschaftliche Fachmann durch den kochenden Experten ausgetauscht. Das Wissen selbst dampft schon bevor es auf dem Teller landet, aus den Kochtöpfen.
Wie der Geschmack nicht mehr an Äußerlichkeiten gebunden ist, sondern sich zunehmend verinnerlicht, also eine neue Qualität des Kulinarischen erhält, so wird der Koch zu einem Spezialisten auf dem breiten Feld der gourmet nature.

Diese Folge von Planet Wissen wird gesendet am 26.10.2005, 14.00-15.00 Uhr im SWR; 15.00 – 16.00 Uhr im WDR.

Tipps zum weiterlesen:
Campus Culinaire. Internationale Schriften und Bilder zur Kultur des Tafelns. Bd. 1. Stuttgart 2004.
Jean-Marie Dumaine : Meine Wildkräuterküche. AT-Verlag, Baden (CH) 2005.
Jean-Marie Dumaine; Francois Couplan: Wildpflanzen für die Küche. AT-Verlag, Baden (CH) 2003.
Steffen Guido Fleischhauer: Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen. AT-Verlag, Baden (CH) 2003.

http://www.essbare-wildpflanzen.de/
http://www.vieux-sinzig.de/

  • del.icio.us
  • Facebook
  • Yahoo! Buzz
  • Google Bookmarks
  • MisterWong.DE
  • Technorati
  • Twitter
Noch keine Kommentare.

Was sagen Sie dazu?

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Kommentar abonnieren (RSS)