Als die Schrift kochen lernte
Peter Peters kulturhistorische Analyse der italienischen Küchenerfolgsgeschichte
Beginnen wir von vorn. Gehen wir noch einmal zurück. Ganz weit. Durchschreiten wir die Pforte und beobachten das erste selbst bestimmte Treiben im Paradies:Adam und Eva sind wie Kinder frei in ihren Handlungen. Sie dürfen tun und lassen, was sie wollen, allerdings mit einer Ausnahme: ein Baum wird mit einem Tabu belegt. Von diesem Baum der Erkenntnis dürfen sie nichts essen. Die Früchte dieses Baumes seien tödlich. Mit dem Verbot pflanzt der kluge Gott des alten Testaments das Begehren in die Welt.
Erst das Verbot gibt den Handlungen der Menschen Kontur, sie drängt es nach Erkenntnis und mit dem ersten Bissen gehen ihnen die Augen auf. Die Überschreitung des göttlichen Verbots ist ein bewusster Akt, der sich durch die Aufnahme der Nahrung manifestiert. Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. Mit dem Essen beginnt das Bewusstsein.
Selbstredend ist das Christentum von der Ursünde des Essens Zeit ihres Bestehens beeinflusst. Selbst das Essen eines Apfels wurde somit als gotteslästerliche Völlerei gebrandmarkt. Insofern wurde immer wieder als Ziel eines gottgefälligen christlichen Lebens die Unterdrückung des Esstriebes wie des Sexualtriebes angesehen. Beide leisteten der Erkenntnis Vorschub und waren als eitel und gotteslästerlich anzusehen. Jesus wird als Gegenpol zu Adam gepriesen: Was Adam fressend verlor, gewann Jesus fastend zurück.
Der Orient war dem christlichen Abendland kochwissenschaftlich Jahrhunderte voraus. Die ersten islamischen Kochbücher datieren auf das 8. Jahrhundert, die ersten christlichen auf das 13. Jahrhundert.
Wie kam die Pasta nach Italien?Wie aber ist die Pasta nach Italien gelangt? Die gängige Mähr von Marco Polo, der sie aus China mit an den Stiefel gebracht haben soll, erweist sich als Illusion. Peter weißt nach, dass es bei einem so schlichten Grundnahrungsmittel schwierig ist, die Entstehungsgeschichte exakt zu rekonstruieren. Immerhin ist die katholische Hostie – betrachtet man ihre Zutaten Mehl und Wasser – nichts anderes als Pasta. Hier manifestiert sich ein grundlegender Unterschied zur Ostkirche, die nach dem Schisma 1054 orthodox an Sauerteighostien festhält.Es kann zwar als sicher angesehen werden, dass die Chinesen Nudeln kannten und sehr wahrscheinlich ist ihr Rezept über die Seidenstraße bis nach Persien gelangt, denn dort sind Nudelrezepte seit dem frühen Mittelalter nachweisbar, jedoch kann eine Verbreitung auf diesem Wege nicht nachgewiesen werden.
Wie so oft, wenn sich die Wirklichkeit verwickelter darstellt, als man meinen möchte, ist ein Blick zur Philosophie hilfreich. Gambattista Vico, der früh durch sein Vico-Axiom Berühmtheit erlangte, kann bei der Frage aller Fragen: wie kam die Pasta in den Topf reflektierte Hilfestellung geben:
Verum vactum est! Auch hier stellt sich heraus, dass jegliche Geschichte, die Geschichte praktischer Anwendung ist. Der Mensch eignet sich die Natur nur insoweit an, als er sie zu formen beginnt. Dies gilt für Äcker, Straßen und Gebäude ebenso wie für Nahrungsmittel. In seiner Scienza Nuova beschreibt Vico zwar nicht die Entwicklung der Nudel, allerdings lassen sich seine grundsätzlichen Überlegungen ableiten: Auch wenn die Nudel in China erfunden wurde, spricht das nicht dagegen, dass sie zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort ebenfalls entwickelt werden konnte. Alles was man dazu braucht, ist ein Hartweizen, der einen hohen Klebe- und Eiweißgehalt aufweist. Eine solche Getreideart ist in Ägypten für das erste Jahrhundert nach Christus nachweisbar.
Sehr wahrscheinlich ist das arabisch geprägte Sizilien der Ausgangspunkt für Pasta in heutiger Form. Während Süditalien früh transportable Trockennudeln entwickelt, produziert man in Norditalien ab dem 13. Jahrhundert aus Weichweizen geknetete Eierlasagne oder füllt Ravioli für den sofortigen Verbrauch.
Das Buch der BücherEs ist strittig, ob ein Mensch allein als Ahnherr der Europäischen Küche angesehen werden kann. Unstrittig ist jedoch, dass das erste europäische Kochbuch eine revolutionäre Entwicklung auslöste.Die Rezepte waren in Küchenlatein verfasst und vieles deutet daraufhin, dass Neapel die erste kulinarische Metropole Europas darstellte.
Immerhin waren hier die Einflüsse aus dem vorderen Orient, Griechenlands und Frankreichs deutlich spürbar. Nicht umsonst findet man hier auch das älteste Kochbuch Liber de coquina gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Dieses löste eine Vielzahl freier Bearbeitungen und eigenständiger Darstellungen aus, denn schließlich wollten die Städte ihre Machtstellung nicht nur durch Kunst, sondern ebenso durch Küchenfertigkeiten unter Beweis stellen. Nicht umsonst werden die üppigen Festmähler, stilbildend durch Boccaccios Version des Schlaraffenlandes, prägend für unsere Vorstellung mittelalterlicher Gelage.
Die Üppigkeit, mit der die ersten Kochbücher wetteifern wird gegen Ende des Mittelalters verschlankt. Martino di Rossi wird um 1450 eine Kehrtwende in der bis dahin höfisch geprägten Kochbuchkultur vollziehen. Der wahrscheinlich aus dem Tessin stammende Koch verfasst ein sehr italienisches Kochbuch, das eine in sechs Kapitel unterteilte vollständige Kochlehre präsentiert. Zunehmend tauchen die Kräuter der Region in den Rezepten auf, die sich zunehmend am Eigengeschmack der Speisen orientieren. Im Anschluss an Marino taucht das Abendland allmählich aus dem Morast der stark gewürzten Speisen auf. Auch bricht Mariono mit dem ungeschriebenen Gesetz, Garzeiten, Dosierung und Kocheigenschaften als ein Geheimwissen zu behandeln, sondern gibt bereitwillig praktische Tipps und knappe Kochanleitungen.Sein Buch „Die Kunst des Kochens“ kann als erstes modernes Kochbuch angesehen werden und war für die Entwicklung der Renaissanceküche sicherlich so bedeutend, wie Auguste Escoffiers „Le guide culinaire“.
Der TeufelsdreizackDie Moderne kündigt sich nicht nur durch Beobachtung der Natur an. Am Tisch macht ein kleines Utensil Karriere, dem man wegen seiner Dreizackform zunächst teuflisches nachsagte. Endlich müssen die Spaghetti nicht mehr mit der Hand zum Mund geführt werden, die Gabel breitet sich an den Höfen Europas aus und hält bald Einzug in bürgerliche Stuben.Bis dahin war die Gabel lediglich dem Scissor, dem Aufschneider vorbehalten, dessen Vorrecht es war, die Speisen kunstvoll am Tisch zu tranchieren um die geschnittenen Portionen des lauwarmen Guts dann in die Hände der Esser gleiten zu lassen.
Die Kochkunst und die Tischsitten strahlen in der Zeit der Renaissance von Italien nach Frankreich, erst unter dem Sonnenkönig mit seinem Hofstab an Köchen wird sich diese Entwicklung umkehren.
Für die nun geforderte Entwicklung des Individuums gewinnen die Inszenierungen von Festen zunehmend an Bedeutung. Die Inszenierung findet besonders in der Darstellung des Banketts und besonders bei Hochzeiten statt.
Insofern überrascht es nicht, dass diese Zeit auch einen Michelangelo der Köche – Bartolomeo Scappi – hervorbringt.
Cucina BaroccaKorrespondierend zu den leichten, beinahe schwebend ausstaffierten Kirchendecken, etabliert sich im Barock die Kunst des Stilllebens. Caravaggio wirkt stilbildend und subversiv zugleich. Wenn Italien schon nicht die Dichte der Flandrischen Stillleben aufweisen kann, so stellt sich es zu dieser Zeit als Ort des kulinarischen Sinnengenusses dar. An diese Tradition wird man in der Nachkriegszeit anknüpfen.Im Zuge der Verstädterung wird die Ernährung für die unteren Bevölkerungsschichten einseitiger und fleischärmer. Als Ausgleich entwickelt der Barock Fressfeste fürs Volk, welches das Schlaraffenland für einen Tag sein Eigen nennen sollte, die Bündni
sse zwischen Herrscher und Volk wurden durchs Fressen alljährlich besiegelt.
Cucina Povera1967 wird in Italien das Nachkriegstrauma gastrosophisch Überwunden. Das Land besinnt sich auf seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse und seine regionalen Zubereitungsarten. Mittlerweile ist die Arme Leute Küche nicht mehr aus dem Kochbild Italiens wegzudenken. Die puristische Behandlung der Nahrung ist gleichzeitig auf einige offensichtliche Vorzüge angewiesen: die Frische und Qualität der Produkte ist so notwendig, wie die Naturbelassenheit der Speisen. Muscheln kommen gerne ohne Sahnesauce, dafür aber meeresfrisch in Schale auf die Spaghetti.Allmählichen entwickelt sich eine selbstbewusste Kochkunst heraus, die in den Trattorien zum Slogan führt: Wir kaufen nichts! Die häuslichen Produkte aus Stall und Garten stehen für das non plus ultra des Hausgemachten. Diese Entwicklung wird der Grundstein für die moderne Slow-Food Entwicklung, die zum Abschluss des Buches einer genauen Betrachtung unterliegt.
Peter Peter: Kulturgeschichte der italienischen Küche
Cucina&Cultura. C.H. Beck Verlag, München 2006
184 Seiten, 19,90€