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Gastronautik für Anfänger und Fortgekochte

von Nik zu 1. August 2007

gastronaut.jpgWas eigentlich ist ein Gastronaut? Man könnte meinen, ein Mensch, der in unbekannte Weiten des Küchenuniversums vordringt, um ungeahnte Kombinationen zu entwickeln. Vielleicht aber sollte man einen Umweg machen, denn die Gastronautik ist eine verwickelte und eine wahnsinnig verführerische Angelegenheit. Denn zunächst sollte man einmal lernen mit Gold zu kochen. Man braucht nur ein paar Scheiben Blattgold, etwas teurer als ein paar Scheiben Schmelzkäse, dafür aber auch etwas exklusiver.

Der Goldkurs unterliegt täglichen Schwankungen, daher sollte man seinen Goldeinkauf in Ruhe planen, schließlich muss man es nicht sofort verkochen, wenn man es gekauft hat, es lässt sich ohne große Umstände lagern. Allerdings sollte man bedenken, welch großen Reiz ein Stapel Blattgold auf die Psyche des zukünftigen Goldkochs auszuüben vermag. Denn schließlich ist man schon durch den Kitzel dieses verschwenderisch teure Zeugs zu kaufen, genügend angestachelt und möchte jetzt wenn nicht die Menschheit oder den engsten Freundeskreis, dann doch zumindest sich selbst mit goldenen Kreationen beglücken. Und was gäbe es schöneres, als einmal wirklich mit Gold und Lebensmitteln zu hantieren. Haben sie schon mal goldene Flips gegessen? Nein? Dann aber los, denn schließlich haben wir nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten und die wollen wir doch nutzen, um zumindest ab und zu etwas abzuheben in die goldenen Sphären der Gastronautik. Halten sie das nicht für Spinnerei. Der Autor meint es ernst und es ist nicht so abgehoben, wie man zunächst meinen sollte. Es gibt allerhand Kochanweisungen für das gelingende Hantieren mit Gold am Herd. Selbstredend wird das goldene Kapitel köstlich beendet und findet seinen passenden Übergang im kurzen Verweis auf „Goldrausch“, den legendären Chaplin Film, in dem der Mime seine Schuhsohle verzehrt, was den Schauspieler arg beschäftigte, da die Sohle für den Film aus Lakritz geformt war und sich dieses Verdauungsfördernde Lebensmittel nach 65 Takes bemerkbar machte.

Natürlich macht sich der Brite Gedanken um den Stellenwert des Inselessens im europäischen Vergleich und sehr unterhaltsam stichelt er gegen das kaum ausgewiesene kulinarische Selbstbewusstsein seiner Landsleute. Die Franzosen haben nicht lediglich Glück gehabt, sie haben es einfach schon zur Zeiten der industriellen Revolution – die vielen britischen Gastrohistorikern den Vorwand liefert, weshalb angeblich das Essen auf der Insel so fad und fett geworden sein soll – ihre Esskreationen phantasievoll und viel versprechend zu benennen und damit den Grundstein für ein weitreichendes Marketing zu legen. Nun hat man es auf der Insel schwer, den Nimbus von triefenden Fish&Chips in Zeitungspapier loszuwerden. Dabei sind es laut Gates gerade die Klassiker der Insel, die – wenn auch mit komischen und irreführenden Namen versehen – die Grundlage für eine traditionelle und experimentierfreudige Küche bilden.

Natürlich liest sich das ganze bei Gates so, als hätte Britannien immer eine gastronomische Führungsrolle innegehabt und in der Tat, so viele Gerichte, die als Bestandteil altes Toastbrot vorweisen wird man kaum woanders auf der Welt vorfinden. Natürlich wird man auch mit anderen Dingen bestens unterhalten, oder wussten sie wirklich, warum Mitterand in der letzten Woche seines Lebens nichts mehr essen konnte und was wirklich sein letztes Mal war? Sind sie sicher, dass sie das perfekte aphrodisierende Essen parat haben, wenn es denn darauf ankommt? Oder haben sie sich schon einmal gewagt, mit After Shave zu kochen?

Alle angebotenen Rezepte sind durchaus zur Nachahmung empfohlen, selbstredend gibt es auch schmackhafte Klassiker oder eben traditionelle Gerichte, die aufregend abgewandelt werden. So findet sich neben einem Rezept für Gravlax (auch die Schreibweise wirkt zuweilen aufrüttelnd), ein innovatives für Makrelentatar – allein die Mischung aus Topinambur, Makrele und Erdnussöl würde den Kauf des kleinen Bändchens lohnen – oder gefüllte Fischköpfe (womit der Autor, ich habe es überprüft nicht zum Kannibalismus aufrufen will, obwohl er selbstredend auch diese spezielle Form der Nahrungsverwertung kochtechnisch nicht unbehandelt lässt). Das Buch ist weder eintönig noch eindimensional. Es gibt Unterhaltsames, geschichtliche Hinweise und immer wieder eine Erdung, da es Gates vor allem darum geht, zum Kochen anzuregen. Sei es bei der Beschreibung eine zeitgemäßen Orgie oder eines traditionellen Abendmahls, er möchte begeistern und seine Leser animieren. Er möchte klassische Denk- und Kochmuster aufbrechen, sie mit historischem Material bereichern und das Leben als eines Beschreiben, das seine Verankerung durch die Küche erfährt. Wenn man schon 16 Prozent seiner Lebenszeit mit Nahrungsaufnahme zubringt, dann kann man auch direkt etwas Sinnvolles daraus machen. Mittlerweile beherzigt jeder Gastgeber intuitiv die Regel, dass er jedem Gast und selbstredend auch jedem Gastmahl den nötigen Platz einräumen soll, damit diese frei zur Entfaltung kommen, so kann aus einem nichtigen Anlass und guten Zutaten etwas Wundervolles werden. Man fragt sich allerdings, weshalb der Gerstenberg Verlag diese Kleinod der Gastronautik nicht ebenfalls etwas mehr Platz zur lesefreundlichen Darstellung gegeben hat. Die Buchstaben, gerade aus der kundigen Feder eines Briten gesetzt, verhalten sich wie Teeblätter, sie benötigen Platz um sich ausdehnen zu können, werden sie – wie hier die Zeilen – zu eng gesetzt, hinterlassen sie völlig überflüssiger Weise einen bitteren Beigeschmack, das Lesen wird unnötig mühsam.

Unabhängig davon ist das vorliegende Buch der spielerisch ernsthafte Beweis dafür, dass man in ungeahnte Dimensionen vorstoßen kann, wenn man ein paar Anleitungen ernst nimmt und den Mut hat, vieles Bekannte einfach über Bord zu werfen. Übrigens: auch zum reinen Lesen ist das Buch ein Genuss.

Cheers! 

Stefan Gates: Der Gastronaut. Kulinarische Abenteuer für Romantiker, Tollkühne und Unverzagte. Gerstenberg Hildesheim 2006, 240 Seiten, 19,90€ ISBN 978-3-8067-2945-0

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