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Wein-Theorie

von Nik zu 4. Juni 2008

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Es ist an der Zeit, ein Buch vorzustellen bevor es in Vergessenheit gerät. Denn es ist wichtig, hier auf den Mut des Autors hinzuweisen, der mit leichter Hand ein völlig neues Terrain betreten hat. Michel Onfray stellt mit „Die Formen der Zeit“ nichts Geringeres als die Theorie des Sauternes vor. Damit aber liefert er gleichzeitig eine Theorie des Weins. Vielleicht sollte man besser sagen, eine Geschichte der Philosophie durch den Wein auf den Punkt gebracht? Aber lassen wir an dieser Stelle die Spitzfindigkeiten, denn dieses Terrain ist das des Autors. Er entführt den ahnungslosen Leser in die Wüste der Begriffe, die er sofort, als würde hier die grundlegende Entstehungsgeschichte erzählt, mit Wasser benetzt und zum Leben erweckt.

Auf einmal entstehen aus den Begriffen lebendige Landschaften. Die Gegend des Sauterns wird nicht einfach beschrieben, sie erscheint als Inbegriff des Lebens, denn hier so scheint es, sind philosophischer Ausdruck und Gegenstand der Beschreibung eins geworden. Hier geht die Theorie des Begriffs leicht und glücklich in der Praxis des Trinkens auf, ergießt sich der Gegenstand der Beschreibung in tiefen sanften Zügen und wird im Zuge seines Genusses selber zum Begriff.

Und es scheint ein ununterscheidbars Wechselspiel zu geben: Denn schließlich wird der Genuss des Trinkens zum Genuss des Schreibens, der den Genuss des Trinkens zu Tage befördert, beschreibt und erst damit zur Vollendung treibt. Nun, zwölf Jahre nach seiner Veröffentlichung ist der Text lange genug gelagert, hat er seinen rechten Körper entwickelt, lesen wir ihn, bevor er seinen besten Punkt überschritten hat.

Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. Wenn es je eine Theorie gebraucht hätte, um diesen Satz Wort- und Weingehaltig auf ein Volumen zu bringen, dann ist es hier geschehen. Dem Begriffsblinden wird klar, dass er bisher noch keine Ahnung von Wein hatte, denn wie viele Worte sind ihm bisher nicht in den Sinn gekommen, wie viele Arten gibt es, die Sinne zu preisen.

Viele, oder aber diesen einen. Die Begriffe werden nicht nur mit Wasser, im Sauternes werden sie mit Wein benetzt und führen ein ästhetisiertes Eigenleben als wären sie erst auf diese Weise wirklich zu sich selbst gekommen. Wagen sie einen Ausblick in die Theorie, die sich so unscheinbar gibt, als wäre sie selbst der Hauch des Weins der gerade getrunken noch stundenlang nachschmeckt.

Santé!

 

Michel Onfray: Die Formen der Zeit. Theorie des Sauternes. Merve Verlag Berlin 1999 (Org.: Bordeaux 1996)

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