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Essayistische Kochtheorie

von Nik zu 20. Januar 2010

thiele1Es ist ein Buch, das aus dem Rahmen fällt. Damit ist weniger sein Format, als sein Inhalt gemeint. Denn was der Autor hier in wenigen Seiten auf die Beine stellt, würde bei weniger analytisch klugen Köpfen, eine mehrbändige Abhandlung und damit Meter an Bücherregal füllen.

In sechs Essays beschäftigt sich André Thiele mit dem Phänomen, dass eine Welt in Scherben liegt. Dabei ist stets ein Gebilde zerstört. Sei es das eigene Vieh nach einer verheerenden Überschwemmungskatastrophe, die leicht hätte verhindert werden können, wäre nur das Kapital nicht anderer Ansicht gewesen – wobei wir in diesem Beispiel des Hinrich Janssen, der sich in einer wahren Sisyphosarbeit für eine Verbesserung der Deiche am Jadebusen einsetzte und dabei die betonharte Mauer der gewerblichen Raffgier der zuständigen Beamten nicht zu unterspülen vermochte von einer Situation reden, die uns aktuell erscheint und zugleich über 300 Jahre alt ist. Sei es das Aufspüren des vergessenen Aufklärers Saul Ascher, der sich zeitlebens viele Feinde machte, da er kategorisch für die Sache des Geistes, des vernünftigen Staates und also gegen Deutschtümelei eintrat. Kein Wunder, dass dieser Mann über 150 Jahre in Vergessenheit geriet.

Vielleicht noch ein Wort zu den Essays. Sie kommen mit einer Wucht um die Ecke, die man sonst nur von Hacks gewohnt war. Zugleich regen sie durch ihre Form der Gedankensplitter den Leser zum eigenen Nachdenken an. Denn was Thiele über die Gewürze zu berichten weiß, speist sich nicht einfach aus dem Nacherzählen.

Als die orientalischen Gewürze Mode wurden und der Adel wie süchtig nach ihnen verlangte, wurde der Aufstieg des Bürgertums besiegelt. Der Adel zahlte ernorme Summen für die Gewürze, die er zugleich in verschwenderischem Umfang genoss. Er fraß sich gewissermaßen in seinen eigenen Untergang hinein und betäubte durch die Stimmungsaufhellende Wirkung der Gewürze die klare Sicht auf den unaufhaltsamen eigenen Niedergang.

Gleichwohl hat uns diese Phase die klassische Küche beschert und den Umgang mit Gewürzen für uns alltäglich werden lassen. Wir sollten den Adel nicht verachten. Wie gesagt hier handelt es sich nur um eine kleine Betrachtung, spannender sind die Überlegungen zur Verwendung der kostbaren Nahrungsmittel, die zu Beginn des Bürgertums lediglich ein Essen armer Leute war. Mittlerweile erfreuen sich diese Abfällt, Trüffel, Hummer, Langusten und Astern einen Zuspruch und eines Preises, der völlig vergessen macht, dass sie früher auf dem Abstellgleis des gehobenen Speisezettels fungierten.

Kurzum, ein Buch, dessen Lektüre den Leser mehr gibt als bloße Worte. Es ist anregend, klug, prägnant. Mit anderen Worten: ein Buch zum Genießen

Santé!

André Thiele: Eine Welt in Scherben. Essays & Historien. VAT Mainz 2008, 978-3-940884-06-0, 108 Seiten, 14,90€

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