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Angerichtet

von Nik zu 17. November 2010

Was ist das nur für eine Welt, in der man dazu verurteilt ist, monatelang auf einen Platz in einem angesagten Gourmetrestaurant warten zu müssen? Aber zum Glück gibt es auch andere Möglichkeiten. Sehr zum Verdruss von Paul Lohman zeigt ihm sein Bruder Serge, dass man nur bekannt und wichtig sein muss, um schon am selben Abend einen Tisch seiner Wahl in diesem Restaurant reservieren zu können. Natürlich, Serge ist ja auch der kommende Premierminister der Niederlande, aber weshalb muss er wie ein kleiner Junge damit prahlen, was er alles mit Leichtigkeit unternehmen kann. Immer noch will der große Bruder Serge dem kleinen Paul zeigen, wer in der Familie ein Versager ist.

Doch dieses Abendessen soll anders werden, als die Anderen. Auch wenn Paul und seine Frau Claire dieses Mal schon wieder keine besondere Lust verspüren sich mit Babette und Serge zu treffen, sie ahnen noch nicht wie verheerend der Abend für alle Beteiligten werden wird. Dabei wollten sie doch alle nur das Beste.

Der neue Roman von Herman Koch, der im vergangenen Jahr von den Bestsellerlisten der Niederlande gar nicht mehr wegzudenken war ist nun auch auf Deutsch erschienen. Und man sollte die Schere des Hummers, die das Buchcover ziert, ebenso wie das einleitende Zitat aus Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“ als Warnung nehmen. Hier entspannt sich ein Streit von Menschen, die um einen Tisch herum sitzen ausgelöst, da Mr. Pink sich weigert, Trinkgeld zu bezahlen. Was aber, so könnte man die Diskussion dieser Verbrecher in Anzügen interpretieren, hält die Konventionen einer Dienstleistungsgesellschaft zusammen, wenn man sogar auf das Trinkgeld verzichtet?

Das Ausgezeichnete an „Angerichtet“ ist dabei, wie meisterhaft es der Autor versteht, den Leser für seinen Protagonisten zu gewinnen. Paul Lohman ist wirklich der Nette. Sein Bruder Serge dagegen ist ein Machtpolitiker, wie man ihn sich gerne vorstellt und kann es nicht auch sein, dass er gerade erst, kurz vor diesem Abendessen, seine Frau geschlagen hat? Zutrauen würde man es ihm. Schließlich scheint auch das Ambiente, da geben wir Paul gerne Recht, einfach nur für Leute gemacht, die nicht wissen, wie sie ihr Vermögen am besten verschwenden sollen. Denn schließlich haben – auch da stimmen wir Paul gerne zu – die Preise, die sich in einem bevorzugten Gourmettempel auf der Speisekarte zeigen – ihre Relation zu den Gerichten, die sie angeblich beziffern sollen, verloren. Dazu werden den Gästen Kreationen serviert, die lediglich wie kleine Tupfer die alles bestimmende Leere des Tellers herausstellen.

Doch diese Szenerie ist lediglich die Spitze des Eisberges, dessen wahres Ausmaß wir unter der scheinbar glatten Oberfläche nicht im Geringsten abschätzen können. Denn neben den normalen menschlichen Abgründen am Tisch erwächst zwischen den Gängen das eigentliche Thema des Romans. Ohne Pauls Wissen haben sich hier die Eltern versammelt, da ihre Söhne Michel und Rick ein Delikt begangen haben, dass man noch nicht einmal in elterlicher Liebe als Jugendsünde bezeichnen könnte. Damit nicht genug: ihr nächtlicher Gewaltausbruch ist gefilmt worden und wurde anonym ins Internet gestellt. Serge Kandidatur zum Premierminister scheint in Gefahr, mehr aber noch: die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern hat anscheinend einen irreparablen Defekt.

Die Kunst von Koch besteht darin, dass er die Neugierde des Lesers befeuert. Und sie dürfen gewiss sein: bevor das Trinkgeld bezahlt werden muss, wird der Roman eine neue Definition der Liebe liefern.

Gerade, da es keine leicht verdauliche Kost ist, lohnt sich die Lektüre.

Santé!

Herman Koch: Angerichtet. Roman. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2010, ISBN: 978-3-462-04183-5, 336 Seiten, geb., 19,95€

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Ein Kommentar
  1. Rey permalink

    Oha,
    dieser Artikel war wohl genau so schwer verdaulich, wie das Buch zu sein scheint.
    Aber ich freue mich schon auf das nächste Highlight des Autors!
    Rey

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