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Big Food

von Nik zu 22. Dezember 2010

Am 4. Januar 1954 gab es eine bemerkenswerte Kampagne, die sogenannte „Frank Statement to Cigarette Smokers“ : in 448 Tageszeitungen wandten sich die Chefs der Tabakkonzerne an die amerikanische Öffentlichkeit. In dieser Anzeige erklärten sie, dass ihre Verantwortung für die Gesundheit der Zigarettenraucher alle anderen Aufgaben der Zigarettenindustrie überrage.
Ziel dieser Kampagne war es – entgegen der vollmundigen Erklärung – nicht die Gesundheit der Menschen zu fördern, dann hätten sich die Tabakkonzerne sicherlich am besten selbst in Rauch aufgelöst, sondern, wie wir heute – mehr als 56 Jahre nach dieser Veröffentlichung – wissen, die versuchte Verschleierung der Gesundheitsrisiken durch den Tabakkonsum.
Auslöser für diese Kampagne waren Medienberichte, die damals erstmals den Zusammenhang von Zigarettenkonsum und Lungenkrebs aufstellten. Insofern handelten die Tabakkonzerne nach ihrer eigenen Logik sehr klug. Denn sie stellten sich mit ihrer breiten Kampagne anscheinend an die Spitze einer Bewegung, die man nicht mehr frontal aufhalten konnte. Dazu sicherten sie sich auf lange Zeit – und bis heute ist kein Ende der Tabakindustrie in Sicht – ihren Absatzmarkt und damit ihre Gewinne.

Fett – Der kommende Tabak?
Wie aber schaut es heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit unseren Lebensmittelkonzernen aus? Sicherlich, die Kampagnen, die hier gefahren werden, sind nicht so umfassend und sensationell, allerdings bemühen sich auch die Lebensmittelkonzerne immer wieder herauszustellen, dass die von ihnen beworbenen Produkte gesund sind. Und in der Tat: nach regelmäßig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangten Lebensmittelskandalen – BSE, Analog Käse, Gammelfleisch, um hier nur die gerade bekanntesten zu erwähnen – ist Gesundheit das Verkaufsstimulanz für Lebensmittel schlechthin.
Sind aber die als gesund gepriesenen Lebensmittel tatsächlich gesundheitsfördernd? Die Frage im Bezug auf Lebensmittelkonzerne ist nicht von der Hand zu weisen, denn schon 2003 fragte das angesehne „Fortune Magazin“: Ist Fett der kommende Tabak? Gemeint waren hier die gesundheitlichen Probleme, die seit Jahren in den modernen Gesellschaften als Ergebnis falscher Ernährung zu verzeichnen sind. Dabei ist es nicht einfach ein Problem mangelnder Bewegung, das zu verstärkter Fettleibigkeit führt. Mittlerweile enthalten industriell hergestellte Nahrungsmittel derartig viele Kalorien, dass man sich gar nicht ausreichend bewegen kann, um diese Kalorienbomben einfach abzutrainieren. Die Folgen einer überzuckerten, überfetteten und über Jahrzehnte währenden Fehlernährung werden die Kosten unserer Gesundheitssysteme in die Höhe treiben. Ein breites Gegenlenken ist dringend geboten.

Uran und Kindernahrung
Die Debatte wird nun durch Thilo Bodes neues Buch „Die Essensfälscher“ neu eröffnet. Hier werden ganz legale Tricks aufgelistet, mit denen der Verbraucher systematisch beim Einkauf im Supermarkt getäuscht wird. Das Buch zeigt anschaulich, wie es der Handel versteht, Wege zu größerem Profit für sich zu finden und wie nicht nur Geschmack, sondern überhaupt die Frage nach sinnvoller Ernährung auf der Strecke bleibt. Bemerkenswert ist dabei, wie Bode auch das Problem der Bio-Produkte untersucht. Denn viele Produkte sind nicht – wie sie dem Verbraucher suggerieren möchten – gesünder oder besser hergestellt. So enthalten manche Bio-Kinderriegel ähnlich viel Zucker wie konventionelle Riegel. Man möchte seinem Kind auf keinen Fall mehr eine Milchschnitte kaufen, denn nach der Lektüre weiß man auch, dass dieses leichte Produkt für Zwischendurch zu mehr als der Hälfte ausschließlich aus Fett und Zucker besteht.

Problematisch ist das Verhalten von Nahrungsmittelherstellern nicht nur in Bezug auf Kindernahrung. Einer der größten Babynahrungshersteller der Welt Nestlé bewirbt seine Babyprodukte mit dem Slogan „Jedes Kind verdient den bestmöglichen Start ins Leben“, warnt aber auf den Flaschenetiketten seiner Premium-Mineralwässer Perrier und San Pellegrino nicht davor, dass diese Getränke ein Gesundheitsrisiko für Babys darstellen, da sie überdurchschnittlich stark mit dem Schwermetall Uran belastet sind. Warum , so fragt man sich, werden hier die Eltern nicht gewarnt, wenn doch jedes Kind laut Konzernangaben den bestmöglichen Start ins Leben verdient?

Wasser in Dosen
Doch auch der ganz normale Wahnsinn kennzeichnet Big Food. Anscheinend kann man alles an den Kunden bringen. Selbst aromatisiertes Wasser in Dosen. So schien das Marketingkonzept beim bekannten Food-Hersteller Escoffier, der zur Vermarktung der „Escoffier Duett Champignon-Creme-Suppe“ einen bekannten Fernsehkoch unter Vertrag nahm. Angeboten wird nun eine Suppe in zwei Weißblechdosen, die den Preis einer normalen Tütensuppe um das Drei- bis Vierfache übersteigt. Dabei enthält die eine Dose die normalen Zutaten einer Tütensuppe – also: Zusatzstoffe, Aromen und Geschmacksverstärker -, die andere Dose enthält Spuren von Lauch und ansonsten lediglich aromatisiertes Salzwasser, wird aber als Fond angepriesen.
Über die Vermarktung mit dem Namen und dem Konterfei eines bekannten Fernsehkochs wird dem Verbraucher suggeriert, dass er ein hochwertiges Produkt in Händen hält, für das er einen entsprechend höheren Preis zu zahlen habe. Hochwertig ist lediglich der Preis: teuer bezahltes Wasser in Dosen.

Süßes Versprechen
Kein Mensch braucht Zucker. Dennoch sind wir mittlerweile daran gewöhnt, uns das Leben zu versüßen. Im vergangenen Jahrhundert ist der Zuckerverbrauch in den Industriestaaten explodiert. Mittlerweile verzehrt jeder Deutsche im Schnitt 40 Kilogramm Zucker im Jahr und damit etwa 25% mehr als noch vor einer Generation. In den USA ist der Zuckerkonsum schon auf 62 Kilogramm pro Kopf gestiegen. Hier zeigt sich aber auch, dass in Europa noch nachgezuckert werden kann, denn nach der Wachstumslogik der Konzerne, besteht hier zuckertechnisch noch Entwicklungsbedarf, unabhängig davon, dass Fettleibigkeit ein riesiges gesundheitliches Problem für die modernen Gesellschaften darstellt.
Nach einer Studie des Robert Koch Instituts, die 2007 veröffentlicht wurde ist das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren seit den neunziger Jahren um 50% gestiegen. Einher mit dieser Steigerung geht auch die Zunahme der „Alters-Diabetis“ bei Kindern bis zu 14 Jahren.
Schon heute verursachen die Kosten ernährungsbedingter Krankheiten nach Schätzungen der Bundesregierung 70 Milliarden Euro pro Jahr. Die Nahrungsmittelhersteller geben in Deutschland zur Zeit pro Jahr ca. 2,8 Milliarden Euro für Werbezwecke aus, davon entfallen alleine auf den Bereich „Schokolade und Zuckerwaren“ 600 Millionen Euro.
Hier kann man die Verbraucher lediglich mit dem Diktum von Michael Pollan warnen: Kauft Nahrung, keine Lebensmittel und kauft nichts, was euere Oma nicht auch gekannt hätte und nichts das mehr als 5 Zusätze auf der Packung verzeichnet.

Smileys
Schokokekse ohne Schokolade, Formfleisch als Schinkenersatz, Fruchtjoghurt ohne Frucht aber dafür mit Sägespänen, Light-Produkte mit hohem Fettanteil, Bio-Produkte mit teilweise erheblichem Zuckeranteil, Analogkäse…die Liste der Imitate lässt sich unendlich fortsetzen. Nun ist es eine Sache, dass eine Industrie Imitate auf den Markt bringt, eine andere ist es allerdings, ob der Verbraucher sich darüber, z.B. durch Packungsaufdrucke informieren kann und vor allem, ob er eine gleichwertige Alternative präsentiert bekommt.
Wie aber kann sich der Verbraucher informieren? Wie schützt er sich vor schlechtem Essen in Gaststätten, Imbissen, Mensen und Kantinen? Wie kann er sicher sein, ein Bio-Brot zu kaufen, in dem mehr als 60% Vollkornmehl enthalten ist?

Bode schlägt vor, sich an unseren Nachbarn aus Dänemark zu orientieren. Denn diese praktizieren seit 2001 ein sogenanntes Smiley-System. Jedes Lebensmittelgeschäft und jedes Restaurant, jeder Laden, in dem man Lebensmittel kaufen, oder Speisen zu sich nehmen kann, muss gut sichtbar öffentlich demonstrieren, wie es bei der letzten Lebensmittelkontrolle abgeschnitten hat. So können die Kunden und Gäste schnell sehen, ob sie hier Vertrauen genießen und genussvoll zugreifen können.

Dieses System erfreut sich knapp 10 Jahre nach seiner Einführung nicht nur einer breiten Akzeptanz von 97% der Dänen, sondern hat auch zu einer Verbesserung des Angebotes in den Geschäften und Betrieben geführt. Darüber hinaus hat sich die nachhaltige biologische Landwirtschaft in Dänemark rasant entwickelt und wird nun zunehmend zu einem Exportschlager. Nicht zufällig kommt der beste Koch der Welt aus Kopenhagen und das – Wunder über Wunder – obwohl, oder gerade weil er fast ausschließlich mit skandinavischen Produkten bevorzugt aus der direkten Region kocht.

Im Unterschied zu Imitaten könnte unverfälschtes Essen, eine nachhaltige Landwirtschaft und ein verändertes Bewusstsein von Ernährung ein Vorteil für die gesamte Bevölkerung sein. Dabei könnten die Lebensmittelkonzerne sogar mit gutem Grund Profite machen. Aber dies ist sicherlich ein langer Weg, dessen einzige Schwierigkeit jedoch lediglich in einem grundlegendem Umdenken liegt: weshalb sollte man nicht Profite mit Lebensmitteln machen, die nachhaltig hergestellt sind und nicht durch Fette und Zucker zu Geschmack gelangen?
Beginnen sollte man ihn mit einer verpflichtenden Einführung eines Smiley-Systems. Veränderungen beginnen meistens mit einem Lächeln.

Santé!

Thilo Bode: Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen. S.Fischer Frankfurt/Main 2010, ISBN: 978-3-10-004308-5, 224 Seiten, 14,95€

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