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Messerscharfer Geschmack

von Nik zu 19. Januar 2011

Über Geschmack kann man streiten. Folglich ist es – folgt man dem Diktum Wittgensteins – unerlässlich Gründe für sein geschmackliches Urteil zu sammeln. Denn im Bereich des Geschmacks befinden wir uns nicht nur auf der Suche nach Gewissheit losgelöst von subjektiven Ansichten, sondern in einem weiten und immer noch zu objektivierenden Feld.
Der 3. Band der vom Tre Torri Verlag herausgegebenen Kochuniversität widmet sich dem Geschmack. Und dabei ist es keinesfalls trivial, wie der Geschmack auf der Zunge entsteht, wie wir ihn wahrnehmen und welche Elemente man beim Kochen berücksichtigen kann, um das gewünschte Geschmacksspektrum erreichen und erweitern zu können.

Nach den ersten Bänden der Kochuniversität „Tomaten“ und „Schwein“, die von Jürgen Dollase vorgelegt wurden, ist nun der am Max Planck Institut für Polymerforschung in Mainz lehrende Physiker Thomas Vilgis als Autor gewonnen worden. Auch wenn es sich zunächst exotisch anhört, dass hier ein Naturwissenschaftler einen Band über Geschmack schreibt, man hätte kaum einen besseren Autoren für dieses vielschichtige Thema finden können. Denn Geschmack ist eine Synthese, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Was wir auf der Zunge wahrnehmen ist ein Akkord von Aromen und wer wäre zur Analyse einer komplexen Synthese besser geeignet als ein renommierter Wissenschaftler der Essen nicht nur mit Leidenschaft angeht, sondern es als seine Passion versteht. So fällt dem Leser erst auf den 2. Blick auf, wie komplex und vielschichtig die hier so einfach dargestellte Problematik in Wirklichkeit ist.

Vilgis nimmt den Leser bei allgemein gültigen Themen mit. Natürlich gibt es Aromen und etwas darüber hinaus, denn schließlich will keiner von uns bestreiten, dass uns etwas schmeckt, dass uns manches Mal der Geschmack auf der Zunge liegt und das wir manchmal lange brauchen, bevor wir den Sinneseindruck, der wie ein klangvoller Akkord von unserem Gaumen wahrgenommen wird, in schale oder bestenfalls vollmundige Worte zu fassen vermögen. Gerade daher ist es auch so zwingend nötig, dass wir neue Sprachen der Kochkunst lernen, wie es Vilgis in seinem Vorwort zutreffend nennt, denn wie, wenn nicht über Worte wollten wir das zum Ausdruck bringen, was unseren Gaumen betört.

Analytisch könnte man sagen, dass sich Geschmack in die verschiedenen Geschmackskomponenten aufteilen lässt. Aber natürlich weiß jeder Mensch, der zur Synthese fähig ist, dass der Geschmack mehr ist, als die Summe seiner durch Analyse gewonnenen Teilmengen. Neben den Geschmacksrichtungen süß, salzig, bitter, sauer und unami gibt es unbestreitbar auch die Komponenten dafür, dass etwas fett oder wässrige schmeckt. Warum ist Wasser ein so wunderbarer Stoff zum kochen, wenn wir es doch selbst am liebsten als relativ geschmacklos erfrischend empfinden?

Vilgis geht der Frage mit analytischer Scharfsichtigkeit nach und behandelt die einzelnen Komponenten des Geschmacks. Dabei liefert er so einfache wie anschauliche Koch-Beispiele, um dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich dem Geschmackfeld auch experimentell zu nähern. Wie schmeckt Stockfischsalz im Unterschied zu Orangensalz? Wie lässt sich eine dieser Komponenten in einem geschmacklich vielschichtigeren Gericht nicht nur erkennen, sondern vor allen Dingen mit Genuss darstellen? Wie kann man Desserts überraschend zubereiten und wie kann man sich selbst, aber vor allen seine Gäste dazu bringen, ihre Geschmacksvorstellungen neu zu hinterfragen?

Spätestens bei einem gelierten Erdbeer-Gin-Törtchen bekommt man Lust das Experiment zu wagen, um sich das Rezept im Munde zergehen zu lassen. Denn schließlich geht es genau darum: seinen Geschmack zu testen, sich seiner zu vergewissern, denn – das wusste schon Wittgenstein – worüber man streiten soll, dazu braucht man Gründe.

Santé!

Thomas Vilgis: Geschmack. Kochuniversität Bd. 3; Tre Torri Verlag Wiesbaden 2010, ISBN: 978-3-941641-22-8, 128 Seiten geb., 19,90€

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