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Homo Sapiens

von Nik zu 12. September 2007

michel-serres.jpgManchmal kann man sich fragen, was Leute, die über Essen schreiben eigentlich so machen, wenn sie ihrem Beruf nicht schreibend sondern eben essend nachgehen. Sitzen sie da, löffeln, dippen, schneiden, trinken, kauen und überlegen sich in diesem Moment, wie sie die Textur beschreiben können, den Aromen-Akkord, die feine Milde, die Überlagerung, den sanften Abgang, von denen sie dann später schreiben?

 Vielleicht sollten sie alle einmal den Eloquentesten aller Gastrosophen zu Rate ziehen, den alten weisen Mann, der seit Jahren Mitglied der Académie Française ist, sein Buch über die Fünf Sinne aufschlagen und nachlesen, was er über die Zunge zu sagen hat.

„Einmal fanden wir bei einem Händler eine Flasche Yquem, Jahrgang 1947. Wir waren drei, die wir uns niederließen, die beiden Freunde hatten die Gabe der Zunge, das heißt sie wussten zu schweigen. Der noch feste Korken ging bereits ein wenig ins Flüssige über, sein Braun ins Blonde, alles näherte sich einem Phasenwechsel. Wir haben uns so viel Zeit genommen, diesen Wein zu trinken, dass wir noch heute davon reden.“ Serres geht es dabei eben nicht darum, dass man schweigen soll, da man vom Geschmack nicht reden kann. Im Gegenteil, er liefert den schönsten Beweis dafür, dass man wunderbar, einfallsreich, nuanciert und gerade daher äußerst präzise über den Geschmack zu sprechen vermag, denn schließlich ist er einer der Sinne, die uns betören können, wenn er selbst betört wird. Er ästhesiert das Empfinden und er löst später die Zunge, die in Worte fassen möchte, was sie vorher an Geschmacksexplosionen erlebte.

Eins der schönsten Dinge, die das Leben uns bereithält, ist es die Zunge anzuregen, sie mit Aromen in einem Maße zu beglücken, dass niemals eine Überreizung darstellt, sondern eben so viel ist, um Interesse und nach einiger Zeit ein ruhiges Wohlbefinden hervorzubringen. Serres ist ein Meister darin, die Kunst der Küche auf den Punkt zu bringen, den viele der Menschen – die über Essen reden, als ginge es darum, es stets in fünf gleiche Worte zu zerlegen – völlig vergessen negieren oder nie zur Kenntnis genommen haben.

Die Küche ist seit Alters her eine Kunst der Synthese, es geht um Gemische und Gebräue, das Zusammenführen verschiedener Zutaten in Töpfen und Tiegeln. Die Veränderung eines Produkts durch Wärme, Kälte, Zerschneiden und Vermischen. Das, was wir dann probieren, löst in einem gelungenen Falle nicht den Wunsch in uns aus, lediglich die Textur auf der Zunge zu beschreiben, nein, es macht etwas mit uns, es nimmt uns mit auf eine Reise, die uns verändert, auf gänzlich andere Gedanken als die des Alltags bringt und die den Körper in einen angenehmen Zustand versetzt. Es ist dieser Zustand den ein Menu, verstanden weniger als Nahrungsaufnahme, sondern als einer der Höhepunkte der kulinarischen Kultur, in uns auszulösen vermag, wenn wir verstehen, uns darauf einzulassen.

Seien sie nicht allein, wenn sie sich Zeit nehmen. Denn der Geschmack schläft in der Narkose der Worte, er will gereizt, angestachelt, beseelt werden, damit er sich entfalten kann. Reden sie nicht zu viel, aber bemerken sie, wie sehr der Geschmack sie zum Reden animiert. Doch das Reden alleine ist noch keine Weisheit, die entsteht erst durch ihren unbewussten Schatten, den Geschmack. Denn der Mensch ist, wie die Bezeichnung homo sapiens beschreibt, nicht einfach ein Wesen der Weisheit. Die Weisheit selbst kommt erst durch ihren sinnlichen Doppelgänger: Sapor bezeichnet zugleich den Geschmack.

Santé!

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