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Europa Biss-Weise

von Nik zu 24. März 2009

Der Tod ist ein Dandy! Die Feststellung der einstürzenden Neubauten ist so aufschlussreich wie die Beschäftigung mit der Figur des Dandy, will man sich Blixa Bargeld – dem Kopf der Band – nähern. Schließlich beschreibt ihn sein Outfit nunmehr seit zwanzig Jahren als einen Mann, der Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt. Sein Auftreten tut ein Übriges, um diesen Mann mit der einprägsamen Stimme als Dandy zu verorten. Es soll wohl so sein, warum auch nicht?

Vielleicht ist es aber an dieser Stelle wichtig, mit einem immer noch grassierenden Vorurteil aufzuräumen: Ein Dandy ist nicht schlicht ein Faulenzer, der den ganzen Tag nur das süße Nichtstun genießt. Ein Dandy gibt sich lediglich den Schein des Müßiggängers. Ein harter Job. Denn schließlich soll niemand gewahr werden, welche Arbeit dafür erforderlich ist, scheinbar im permanenten Müßiggang produktiv, gelassen und überall präsent zu sein. So verwundert es nicht, dass dieser Mann in drei Metropolen quer über den Globus zu Hause ist. Er lebt zeitweise noch in Berlin, öfters in San Francisco und die meiste Zeit, die er nicht gerade durch die Gegend tourt, verbringt er in Peking.

Zugleich gibt er sich gelassen und legt Wert auf den regelmäßigen Besuch von Museen. Seine Zeit, so sagt er, verbringt er gerne bei gutem Essen und eine Tour ohne regelmäßigen Besuch ausgesuchter Sternerestaurants ist für den Punk der Berliner Hausbesetzerszene nicht mehr denkbar.

Es ist schön, die Songs der Tour zu hören, denn immer noch schwingt in ihnen etwas Schwarzes mit, als wären die achtziger Jahre noch tief in ihnen drin eingekapselt. Eine Prise Anarchie, ein Hauch Punk, eine Kopfnote Kajal, vielleicht auch einfach ein Spritzer Tintenfischfarbe. Sicherlich einer der denkwürdigsten Auftritte im Küchenstudio des Dino-Masters des Küchentalks Alfred Biolek: Blixa Bargeld kocht in Alfredissimo Tintenfischrisotto. Welch schönere Möglichkeit der Selbstdarstellung des Dandys bei gleichzeitig kluger Unterwanderung des Talk-Formats kann man sich für den Sänger und Regisseur denken? Während Biolek sich entzückt gibt, dass endlich mal einer seiner Gäste den Versuch unternimmt ein Risotto in seiner Sendung zu kochen, kann sich Bargeld auf die Rolle des Wein trinkenden Kochphilosophen zurückziehen. Denn, so der Mann im schwarzen Anzug, schließen sich die schmeckende und die sprechende Zunge aus. Bargeld verfällt in schweigendes Rühren, unterbrochen von wiederholten Trinken und Abschmecken des Gerichts, dass ihm augenscheinlich trefflich gelingt. Nicht umsonst wird er von Biolek zum philosophierenden Koch, der im Essen die Schule der Sinnesfreude entdeckt hat, hochgejubelt.

Nur ein wahrer Dandy vermag durch ein paar Rührbewegungen mit einem Holzlöffel derart viel in Bewegung zu setzen.

Nun also, gerade rechtzeitig zum 50. Geburtstag gibt es das Buch des Autors Bargeld. Europa Kreuzweise soll eine Litanei sein. Bargeld erzählt lakonisch von der 2008 Tournee der Neubauten. Die Bewegung kreuz und quer durch Europa – die nächtlichen Fahrten im Tourbus, die zeitraubenden Aufenthalte in den Flughafenlobbys, die gleichförmigen Tagesabläufe, die freien Tage, die meist zur Weiterreise verplant werden – schrumpft hier zu einer beständigen Wiederkehr des Gleichen ein.

Aus der Bewegung wird auf eigentümliche Art ein Stillstand. In diese liturgische Litanei, die in der gleichförmigen Aufzählung der gespielten Songs am Konzertabend gipfelt schiebt sich unmerklich das Uneigentliche, das Besondere des jeweiligen Ortes ein. Es sind dies nach den eigenen Worten des Autors die Momente, seiner persönlichen „Tournee de Culinaire“.

Bargeld schafft es in seinem lakonischen Stil die persönlichen Höhepunkte festzuhalten. Manchmal muss der Tourbus halt umdirigiert werden, wie sollten man sonst an diesem Tag zu einem ausgezeichneten Mittagessen kommen? Denn schließlich ist das Leben, wie der unvergleichliche A.J. Liebling vor mehr als einem halben Jahrhundert schon bemerkte, viel zu kurz, um auf gutes Essen zu verzichten.

Essen ist, so gibt Bargeld zu Protokoll, Bildung für die Zunge. Es ist, verfolgt man sein Buch weiter, noch weitaus mehr als das. Zuweilen ist es die innere Einkehr. Alleine im Taxi sitzend auf dem Weg in ein besterntes Restaurant. Die Platzierung als Einzelner an einem Tisch erfährt erst die wahre Krönung, wenn man in Ruhe mit sich und den Köstlichkeiten auf dem Teller ist.

Essen ist – so lernt man in dieser klugen unaufdringlichen Litanei – mehr als die ständige Wiederholung des Immergleichen. Essen ist Verzauberung und zugleich die Sucht nach neuen Erkenntnissen, die Gier nach kulinarischen Überraschungen und eine intellektuelle Oase in der Monotonie eines gleichförmigen Tagesablaufes. Mit dem Buch, in dem so wunderbar sachlich über das Tantris gesprochen wird, wie noch nie zuvor, legt der gebürtige Berliner Zeugnis von seiner inneren Katharsis ab. Denn schließlich wurde ihm als Preußen der Spaß am Essen nicht in die Wiege gelegt. Auch im abgeschlossenen Westberlin wurde man nicht von selbst auf kulinarische Genüsse gestoßen.

Der Autodidakt hat sich innerhalb der letzten zwanzig Jahre zu einem Experten der Kochkultur und des lukullischen Genusses entwickelt. In einer Litanei liegt zwischen den liturgischen Wiederholungen viel Zwischenraum. Bargeld füllt sie mit gastrosophischen Betrachtungen und großer Philosophie der kleinen Dinge und entwirft so eine Analogie zu manchen Songs der Neubauten.

Ganz unbemerkt fügt sich in diesen Loop ein Bekenntnis, das den Leser am Ende des Buches dennoch in seiner Klarheit überrascht. Die Bargeld-Litanei ist eine Liebeserklärung an Europa und seine Kochkunst. Ganz nebenbei erweckt der Autor Lust, dem Alkohol öfter zuzusprechen, denn die vermeintliche Umnebelung, so wird klar, geschieht nicht durch alkoholische Betäubung, sondern durch den dumpfen Schleier des Immergleichen, der erst durch genüssliche Zerschneidung gelichtet werden kann Wer hätte schon geahnt, wie viel Kraft in einer kleinen Litanei stecken kann?

Santé!
Blixa Bargeld: Europa kreuzweise. Eine Litanei. Residenz Verlag Salzburg 2009, 124 S., 14,90€

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