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4 Äpfel

von Nik zu 23. Dezember 2009

david-wagner_vieraepfelWie kann man das moderne Leben in der Großstadt am besten beschreiben? David Wagner unternimmt mit seinem Roman „Vier Äpfel“ den Versuch, das Leben kulinarisch in den Griff zu bekommen. Sein Roman spielt in der Zeit eines einzigen Supermarkteinkaufs. Was sich dort alles im Kopf des Protagonisten ereignet, ist ein Spiegelbild der Konsumgesellschaft, ihrer heimlichen Verführungen und dem leicht melancholischen Gefühl der Leere, das sie im Individuum so oft scheinbar wett zu machen versucht, wie sie es stets als neuen Kaufstimulanz wieder erzeugt.

„Lange bin ich gar nicht gerne in Supermärkte gegangen.“ Hebt der Roman an, heute aber werden vier Äpfel auf die Kundenkontrollwaage gelegt und ergeben ganz genau 1000 Gramm. Das alter ego des Autors ist verblüfft, wie konnte es gelingen wirklich eine solch glatte Zahl bei der Auswahl von Äpfeln hinzubekommen, es scheint ein formidabler Einkaufsbummel durch den bekannten Supermarkt zu werden, schließlich muss man noch nachsehen, ob die Kassiererin, in die man sich schon vor ungezählten Einkäufen heimlich verliebt hat, immer noch ein solch gewinnendes Lächeln aufsetzen kann und was alles in der Fisch- und Fleischabteilung angeboten wird. Natürlich ist der Einkauf durchsetzt mit melancholischen Reflektionen, denn auch nach Jahren vermisst der verlassene Liebhaber seine Freundin. Manchmal scheint es ihm so, als hielte er noch einen von ihr beschrifteten Einkaufszettel in Händen.

Was hier aber verhandelt wird zeigt sich vor allem in den Rückblicken und den Fußnoten des Romans. Seine Kindheitserinnerungen sind gefüllt mit Kaufeindrücken einer Zeit, die längst vergangen ist. Dabei streift Wagners Blick weniger nostalgisch auf Vergangenes. Denn schließlich zeigen sich hier schon Formen zum Übergang. Als Junge musste der Ich-Erzähler in Kannen die Milch vom Bauernhof holen, mochte aber weder die Fliegen, noch die Bäuerin oder die Haut auf der Milch und verlegte sich also darauf, das Milchgeld im Supermarkt zu investieren, die Milch aus den Tetrapacks in die Kannen umzufüllen, bis seine Mutter zugibt, das die Milch vom Bauernhof auch nicht besser als die vom Supermarkt schmeckt.

Die Kirschen, die damals frisch aus der Region gekauft wurden, konnten jeden Nachtisch zur Sensation machen. Allerdings fällt dem Erzähler rückblickend ein, dass diese Kirschbäume im Neuwieder Becken ausnahmslos in direkter Nachbarschaft zum gerade errichteten Atomkraftwerk standen. Auch die Eier, die damals in der Kleinstadt Andernach direkt an die Haustür geliefert werden, kamen aus einer Legebatterie und lassen die Wahl der Moderne zwischen Bio- und Freilandeiern wie eine neue wunderbare Freiheit erscheinen.

Wie es der Autor vermag inmitten der Überlegungen zu tieftraurigen Tiefkühlpizzen, den Erinnerungsfetzen an die Verflossene und der Angst der kompletten Orientierungslosigkeit ein kleine Romanze so locker leicht zu imaginieren, ist in dem unaufgeregten Tempo, das er vorlegt in der Tat atemberaubend. Denn schließlich gelingt es Wagner auf 158 Seiten nicht nur die Welt des Supermarktes zu durchleuchten, sondern das moderne Leben während eines Einkaufsbummels zwischen Joghurtbechern und mexikanischem Honig zur Entfaltung zu bringen. Die Reflektionsgrenzen bleiben dabei nicht schmale Supermarktregale, sondern der zeitliche Horizont, der zu dieser affektiv aufgeladenen Lieblosigkeit führte.

Ein kluger, ein anregender Roman.

Santé!

David Wagner: Vier Äpfel. Rowohlt, Reinbek 2009, ISBN: 978-3-498-07368-8, 159 Seiten geb., 17,90€

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