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Wolfram Siebeck: Man spricht Deutsch

von Nik zu 24. November 2010

Nach einem ersten oberflächlichen Blick darf man sich natürlich die Frage stellen, weshalb der Feinschmecker diese Überschrift für das Editorial gewählt hat. Erinnert sie doch eher an den gleichnamigen Film von Gerhard Polt, als an eine Rezeptsammlung Deutscher Küchenklassiker.

Der geneigte Leser wird aber bald erkennen, dass es sich bei dem 2. Bookazine des Feinschmeckers in Zusammenarbeit mit Wolfgang Siebeck nicht nur um Rezepte der Deutschen Küche handelt, sondern vor allen Dingen um die Sprache als Träger ihres kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Denn Rezepte sind keine unveränderlichen Dogmen, an die man sich verkrampft halten sollte, sie sind lediglich ein Gerüst, mit dessen Hilfe man seine eigenen Vorlieben und kulinarischen Überlegungen in die Tat umsetzen kann.

Schließlich geht es bei den hier vorgestellten 60 Klassikern der Deutschen Küche nicht nur darum, diese vor dem Vergessen zu bewahren, sondern sie vielmehr in der Siebeckschen Interpretation – und das heißt in einer Variante als moderne Klassiker – zu besprechen. Dabei sind die Rezepte und Zutatenlisten selber lediglich kleine Fingerzeige in diesem Band. Sie eröffnen der Rede über diese Kreationen den Raum, den sie benötigt, um aus einem Gericht überhaupt erst einen Klassiker entstehen zu lassen. Denn schließlich geht es Siebeck darum seine Leser zu einem lockeren Gespräch über das Essen, die Rezepte, ihr Entstehen, ihre Variationsmöglichkeiten, über Geschmack und den Genuss einzladen.

Siebeck, der gerne als „Mann mit der scharfen Zunge“ vorgestellt wird, zeigt sich hier in seiner besten Rolle, dem kulinarischen Spiel mit bodenständigen und einfach genialen Rezepten, ihren Zutaten und den Geschichten, die sie zum Sprechen bringen.

Dabei hält sich Siebeck nicht an die Vorgabe, alles „Deutsch“ machen zu wollen. Er begrenzt seinen Kochtopf nicht auf die Eingrenzung einer Nation, sondern sieht in der immer erneuten Fusion der Zutaten den geeigneten Zugang zu Klassikern der Deutschen Küche. Da taucht dann auch gerne mal ein Schinken aus Italien auf, oder ein Calvados. Wer allerdings über solche Ingredienzen stolpert, den sollte man fragen, weshalb Neurungen und Verbesserungen verpönt sein sollten, oder, wie Siebeck es ausdrückt: woher kommt denn das Gummi der Reifen an den Deutschen Markenwagen?

Wenn Siebeck seine Kalbsbäckchen in Ruhe im Bratenfond zu einem Gericht mit nahezu vollkommenen Sauce reifen lässt, lauscht er den Liedern von Slim Gaillard und gibt mit der Nennung der Titel zu erkennen, dass er ein Freigeist ist, der seine Leser nicht nur für gutes Essen sondern ebenso für den Spaß an der Kochkunst begeistern will.

Dass die Kutteln in diesem Band als eine klassische Delikatesse präsentiert werden gehört zu den angenehmen Details dieses kleinen Buches, welches in Zusammenstellung und Art der Zubereitungsvorschläge manch klassische Rezeptsammlung überflüssig werden lässt. Zumal sie bei der Lektüre nicht bevormundet, sondern den Leser zum eigenen Denken animiert und das ist schließlich die Grundlage, um Spaß am Herd zu entwickeln.

Bei den Erzählungen zu Apfelstreusel habe ich mich unweigerlich an die Streuselkuchen meiner Oma und dem Applecrumbel meiner Mutter erinnert gefühlt. Zusammen mit meiner Tochter setzte ich also Rosinen und Äpfel in Riesling auf den Herd, sparte an Zucker, geizte aber nicht mit Zimt, verbrauchte Vanille verschwenderisch und fabrizierten durch Siebecks Anregung den leckersten Apfelstreusel. Alles in den Herd und schon nach kurzer Zeit drangen die herrlichsten Gerüche aus dem Ofen. Dabei haben wir uns jede Menge Zeit genommen, miteinander zu sprechen.


Santé!

Wolfram Siebeck: Siebecks Deutsche Küche. 60 einfache&gastliche Rezepte. Der Feinschmecker. Bookazine Nr. 22, 138 Seiten, 9,95€

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